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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Neuseelands.
    Als Haupt der Familie galt, von allen geliebt und geehrt, die Mutter Martins, eine Greisin von fünfundsiebzig Jahren, deren Mann früher die Farm innehatte.
    »Großmutter« – anders nannte man sie nicht – hatte keine andere Beschäftigung, als mit ihrer Schwiegertochter zu spinnen, da sie, so weit dies an ihr lag, ihren Kindern möglichst wenig zur Last fallen wollte.
    Der älteste der Söhne, der siebenundzwanzigjährige, aber besser als sein Vater unterrichtete Murdock, nahm lebhaftesten Antheil an den Fragen, die ganz Irland unablässig bewegten, und alle fürchteten sehr, daß er sich einmal in eine schlimme Geschichte einlassen könne. Er gehörte zu den eifrigsten Anhängern des
home rule
, d. h. der Erkämpfung der Autonomie des Landes, ohne freilich zu bedenken, daß das
home rule
weit mehr auf politische, als auf sociale Reformen abzielt. Gerade der letzteren bedarf aber Irland, da es noch unter der schweren Last der Feudalherrschaft seufzt.
    Murdock, ein kräftiger junger Mann von schweigsamem Charakter, hatte unlängst die Tochter eines benachbarten Farmers geheiratet. Die von der Familie Mac Carthy geliebte, vortreffliche junge Frau besaß jene regelmäßige, stolze und ruhige Schönheit und die vornehme Haltung, die man bei Irländerinnen der unteren Classen so häufig findet. Ihr Gesicht wurde von großen blauen Augen belebt und lockig quoll das reiche blonde Haar unter den Kopfbändern hervor. Kitty liebte ihren Gatten herzlich, und Mardock, der sonst niemals lächelte, vergaß sich hierin zuweilen doch, wenn er sie ansah, denn auch er bewahrte ihr die innigste Zuneigung. Sie benützte ihren Einfluß auch, ihn zu mäßigen und zurückzuhalten, wenn ein Sendbote der Nationalisten Propaganda im Lande zu machen und die Leute zu überzeugen sachte, daß von einer Versöhnung zwischen Landlords und Pächtern nie die Rede sein könne.
    Selbstverständlich waren die Mac Carthy’s gute Katholiken, es kann also nicht auffallen, daß sie die Protestanten als ihre Feinde betrachteten. 1
    Murdock besuchte eifrig alle solche Versammlungen, und Kittys Herz klopfte immer recht ängstlich, wenn sie ihn so nach Tralee oder einem andern Orte in der Nachbarschaft gehen sah. Bei diesen Gelegenheiten sprach er auch öffentlich mit der den Irländern angebornen Beredtsamkeit, und Kitty mußte ihn bei der Heimkehr immer erst zu beruhigen suchen, wenn sie die Erregung noch in seinen Zügen las und er unter einem gemurmelten Aufrufe zur agrarischen Erhebung wohl gar noch mit dem Fuße stampfte.
    »Mein guter Murdock, sagte sie dann bittend, wir müssen Geduld haben… uns vorläufig ins Unabänderliche fügen…
    – Geduld! unterbrach er sie grollend, wenn Jahre dahingehen und nichts sich bessert! Ergebung, wenn man thätige Leute wie unsre Großmutter nach langem Leben voller Arbeit noch immer im Elend schmachten sieht! Geduldig sein und sich fügen, arme Kitty, bedeutet, alles ruhig hinnehmen, das Gefühl eignen Rechtes verlieren, sich unters Joch ducken und das.. das thu’ ich niemals… niemals!«
    Martin Mac Carthy hatte noch zwei andre Söhne, Pat oder Patrick, und Sim oder Simeon, im Alter von fünfundzwanzig und von neunzehn Jahren.
    Pat segelte meist als Matrose auf einem Handelsschiffe des angesehenen Hauses Marcuart in Liverpool. Sim hatte, wie Murdock, die Farm niemals verlassen, und ihr Vater fand an beiden wichtige Helfer für die Feldarbeit und die Pflege der Thiere. Sim gehorchte ohne Widerspruch seinem älteren Bruder, dessen Ueberlegenheit er neidlos anerkannte. Er bezeugte ihm so viel Achtung, als ob jener das Haupt der Familie wäre. Als letzter Sohn, als »Nesthäkchen«, mit besondrer Liebe aufgezogen, neigte er zu der harmlosen Lustigkeit, die allgemein im Charakter des Irländers liegt. Er liebte es, zu scherzen, zu lachen und verbreitete Sonnenschein in dem sonst etwas düstern Hause. Sehr muthwilliger Natur, unterschied er sich auffallend von dem gesetzten, ernsthaften Wesen seines Bruders Murdock.
    Das war also die fleißige Familie, in deren Mitte der Findling durch Zufall gekommen war. Seinem lebhaften Geiste konnte der Unterschied zwischen dem erbärmlichen Leben in der Lumpenschule und dem gesunden Aufenthalt in einer irländischen Farm nicht unbemerkt bleiben. Wohl hatte unser Held mehrere Wochen behaglichen Wohlbefindens bei der launenhaften Miß Anna Walston verlebt, dort aber nicht die wahre herzliche Zuneigung gefunden, die das Leben am Theater überhaupt mehr oder

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