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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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verhaßt war. Bei dem Frostschauer der Eigenliebe erstarrt jede andre Neigung.
     

    Hier verbrachte das Kind die Nacht. (S. 89.)
     
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    Der Findling, der sich allein sah, nichts begriff, aber doch ahnte, daß er ein großes Unglück angerichtet haben müsse, hatte sich unbemerkt geflüchtet. Aufs Gradewohl durchirrte er die ganze Nacht die Straßen von Limerick und verkroch sich endlich in eine Art großen Garten mit da und dort verstreuten Häuschen und steinernen, von Kreuzen überragten Tafeln. In der Mitte erhob sich ein gewaltiges Bauwerk, das an der vom Mondschein nicht getroffenen Seite sehr düster aussah.
     

    Großmutter hatte keine andre Beschäftigung. (S. 93.)
     
    Dieser Garten war der Friedhof von Limerick – eine jener englischen Todtenstätten mit Buschwerk, blühenden Pflanzen, besandeten Wegen, mit Rasenflächen und kleinen Springbrunnen, wodurch das Ganze zum vielbesuchten Spaziergang wird. Die Tafelsteine waren Gräber, die kleinen Häuser Grüfte, das große Bauwerk die Kathedrale der heiligen Maria.
    Hier hatte das Kind Zuflucht gefunden und verbrachte es die Nacht auf einer Steinplatte im Schatten der Kirche, beim geringsten Geräusche zitternd vor Furcht… daß der böse Mann, der Herzog von Kendalle, es suchen könnte.
    Und nun war auch Miß Anna nicht zu seiner Vertheidigung da! Man werde ihn, so meinte er, weit wegführen in ein unbekanntes Land, wo er seine Mama nicht wiedersähe… und große Thränen perlten ihm aus den Augen.
    Mit Tagesanbruch hörte der Findling eine Stimme, die ihn anrief.
    Unsern von ihm standen ein Mann und eine Frau, ein Farmer und dessen Gattin. Beim Vorübergehen hatten sie den Kleinen bemerkt. Beide begaben sich nach dem Bureau des öffentlichen Fuhrwesens, von wo aus ein Wagen nach dem Süden der Grafschaft abgehen sollte.
    »Was machst Du da, Kleiner?« fragte der Mann.
    Der Knabe schluchzte, daß er kein Wort hervorbringen konnte.
    »Nun, was hast Du denn da vor?« erklang jetzt die sanftere Stimme der Frau.
    Der Findling schwieg noch immer.
    »Wer ist Dein Vater? fuhr sie fort.
    – Ich habe keinen Vater, antwortete er endlich.
    – Aber Deine Mutter?…
    – Ich habe keine mehr!«
    Dabei streckte er die Arme gegen die Farmersfrau aus.
    »Es ist ein verlassnes Kind,« sagte der Mann.
    Hätte der Findling noch seine schöne Kleidung getragen, so würde der Farmer ihn für ein verirrtes Kind und sich für verpflichtet gehalten haben, es den Seinigen wieder zuzuführen. In den Lumpen Sibs aber konnte es nur einer jener kleinen Unglücklichen sein, die niemand angehörten.
    »So komme mit!« schloß der Farmer.
    Dabei hob er ihn schon auf, legte ihn seiner Frau in die Arme und sagte mit freundlicher Stimme:
    »So ein Bübchen mehr im Hause, das merken wir auch nicht. Nicht wahr, Martine?
    – Nein Martin!«
    Und mit einem herzhaften Kusse löschte die gute Frau die Thränen des kleinen Knaben.
Achtes Capitel.
Die Farm von Kerwan.
    Daß dem kleinen Burschen in der Provinz Ulster kein Glücksstern geschienen hatte, war leicht genug zu erkennen, obgleich niemand wußte, wie er seine erste Kindheit in irgend einem Dorfe der Grafschaft zugebracht haben mochte.
    Die Provinz Connaught war ihm auch nicht gnädig gewesen, weder als er über die Landstraßen der Grafschaft Mayo unter der Fuchtel des Puppenschaustellers hinwanderte, noch die Grafschaft Galway während der zwei Jahre in der
Ragged-School
.
    Nun hätte man wenigstens hoffen können, daß sein Elend in der Provinz Munster, Dank der Laune einer Schauspielerin, ein Ende genommen hätte. Nein… er war wieder verlassen worden, und jetzt sollte ihn der Zufall tief nach Kerry hinein, an das Südwestende Irlands verschlagen. Diesmal nahmen sich sehr wackre Leute seiner an… möchte er bei ihnen bleiben können!
    Im Nordosten der Grafschaft Kerry und nahe dem Flusse Cashen liegt die Farm von Kerwan. In der Entfernung von einem Dutzend (englischen) Meilen liegt Tralee, der Hauptort, von wo, alter Ueberlieferung nach, im sechsten Jahrhundert Saint-Brandon abgesegelt sein soll, um Amerika lange vor Columbus zu entdecken. Hier laufen die verschiedenen Schienenwege des mittleren Irland zusammen.
    Das sehr unebene Gebiet enthält die höchsten Berge der Insel, wie die Clanaraderry-und die Stacksberge. Zahlreiche Wasserläufe verbinden sich mit dem Cashen und bedingen, im Verein mit vielen Sumpfstrecken,

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