Der Fluch der Hebamme
Gebärstuhl.«
»Nein«, entschied Clara. »Wenn die Dinge so stehen, müssen wir sofort aus der Stadt verschwinden. Sonst würden sie uns als Geiseln nehmen oder Schlimmeres.« Bevor Johanna Einspruch erheben konnte, fiel sie ihr ins Wort. »Ein paar Meilen werde ich schon durchhalten. Hauptsache, fort von hier. Es ist mein erstes Kind, da kann es noch einen ganzen Tag dauern, bis es kommt. Holst du Kuno und Bertram, damit sie uns Geleitschutz geben? Sie müssen sich irgendeinen Vorwand ausdenken, damit sie keinen Ärger mit dem Vogt bekommen.«
»Wollt Ihr etwa das Kind im Wald gebären oder auf der Landstraße?«, fragte Johanna fassungslos.
»Wenn wir alle überleben wollen, habe ich keine Wahl.«
Mit schweren, behäbigen Schritten ging sie zur Tür und wies die entgeisterte Magd an, ihr ein Bündel zu packen mit allem, was sie brauchen konnten: Wegzehrung, ein Kleid zum Wechseln und die Kindersachen, die sie genäht hatte.
Johanna huschte hinaus, um ihren Mann und ihren Schwager zu holen, und Daniel lief nach unten, um für seine Schwester und Johanna Pferde satteln zu lassen. Dann überlegte er kurz und ging zurück in die Kammer, wo Clara bereits die Leinentücher zusammenpackte.
»Ich habe keine Waffen außer meinem Dolch«, gestand er. »In Vaters Haus will ich mich nicht blicken lassen, um niemanden in Gefahr zu bringen. Irgendein Nachbar findet sich immer, der verrät, dass ich dort war. Glaubst du, dass dein Mann einverstanden wäre, wenn ich … einen seiner Jagdbögen mitnehme? Wir müssen vielleicht die Nacht im Wald verbringen.«
Wieder rieb sich Clara mit schmerzverzerrter Miene das Kreuz.
»Die Truhe«, sagte sie und wies mit dem Kinn in die Richtung. »Darin sind Bogen, Sehnen und auch ein zweites Schwert. Nimm alles. Er würde es so wollen.«
Daniel wurde angst und bange, als er sah, wie mühevoll Clara die Treppe hinunterstieg. Und da sollte sie in den Sattel, meilenweit reiten? Er wusste ja nicht einmal, wohin. Zu Hedwig nach Seußlitz wäre ein Gedanke gewesen, doch das war zu weit von hier und vor allem zu nahe an Meißen vorbei. Da würden sie denen geradewegs in die Hände laufen, vor denen sie davonliefen.
Zu Raimund? Dort würde man ganz sicher nach ihnen suchen. Zu Lukas’ Bruder Jakob? Er wusste nicht, ob er ihm vertrauen durfte. Womöglich würde Jakob sie ausliefern, um sich bei dem neuen Markgrafen anzudienen. Und falls nicht – sie brächten auch noch den kleinen Lukas in Gefahr, seinen Halbbruder, und seinen Neffen. Nein, das schied auch aus.
Darüber denken wir nach, wenn wir die Stadttore hinter uns gelassen haben und Clara das Kind nicht mitten auf dem Obermarkt zur Welt bringen musste, beschloss er.
Seine Schwester hatte sich inzwischen auf dem Hackklotz auf dem Hof niedergelassen und gab der Magd weitere Anweisungen, die sich kaum fassen konnte. »Und die Amme?«, fragte sie entsetzt.
»Wird nicht gebraucht«, antwortete Clara. Sie würde ihr Kind selbst stillen, auch wenn das für die Frau eines Ritters ungewöhnlich war.
Wenig später kam Johanna zurück, mit ihr Kuno und Bertram, beide voll gerüstet und in Waffen. Erleichtert atmete Daniel auf. Sie waren keine Ritter, aber gut ausgebildete Kämpfer und sicher mehr wert als er mit seinen fünfzehn Jahren, sollte es zu einem Gefecht kommen.
»Wir haben Euren kleinen Bruder bei Emma und Jonas untergebracht«, berichtete Kuno. »Damit er nicht auffällt, mussten wir ihm das Haar etwas stutzen und ihn in einen alten Kittel stecken. Aber das wird er überleben. In dieser Notlage können wir nicht noch einen Fünfjährigen mitnehmen.«
Besorgt wies Kuno mit dem Kinn auf Clara, die sich zusammengekrümmt hatte und der Schweißperlen auf der Stirn standen.
Der Anblick veranlasste Daniel, zu seiner Schwester zu gehen und sie leise zu fragen: »Willst du das wirklich wagen?«
»Ich weiß, dass in Meißen etwas Schreckliches geschehen ist«, antwortete sie hart. Sie biss sich auf die Lippen, dann atmete sie tief durch und sagte: »Und ich werde nicht hier liegen und warten, bis sie mich aus dem Wochenbett zerren und mein Kind an der Wand zerschmettern.«
Diese Antwort nahm Daniel den letzten Zweifel. Die Männer halfen der Hochschwangeren in den Sattel, Daniel übernahm es, ihr Pferd am Zügel zu führen. Er warf einen prüfenden Blick auf die kleine Gruppe, die für einen flüchtigen Beobachter nichts Auffälliges an sich hatte: eine Dame mit Magd, einem Knappen und zwei Bewaffneten als Geleit auf Reisen.
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