Der Fluch der Makaá
Brüder prustend vor Lachen untertauchten. Ich nahm es ihnen nicht übel. Mir selber war noch nicht nach Schwimmen zumute. Stattdessen räkelte ich mich mit Wohlbehagen auf der Liege und griff nach meinem Buch. Doch anstelle zu lesen, nahm ich erst einmal die Dachterrasse genauer ins Visier.
Wir waren nicht die einzigen Hotelgäste, die den Pool an diesem Morgen aufgesucht hatten. Zwei Mädchen etwa in meinem Alter schwammen ihre Bahnen und lachten über irgendwelche lustigen Dinge. Sie schienen nett zu sein, und ich nahm mir fest vor, sie später in eine Unterhaltung zu verwickeln. Es machte mir stets großen Spaß, neue Leute kennen zu lernen und interessante Gespräche zu führen.
Auf der von mir gegenüberliegenden Seite sonnte sich eine Frau in einem Bikini, der ebenso knapp wie knallrot war. Sie hatte dichtes braunes Haar, das ihr in schmeichelnden Wellen über die Schulter fiel. Ihre Augen waren durch die getönten Gläser einer schicken Sonnenbrille abgeschirmt, und ihrem gebräunten Teint nach zu urteilen, hielt sie sich schon etwas länger in diesen Breiten auf als wir. Dass sie Touristin war, schien mir außer Frage. Ich schätzte sie auf Anfang dreißig und fand sie vom Standpunkt eines Mädchens aus sehr attraktiv.
In einer Ecke, beinahe gänzlich vom einzigen Schatten, den es auf dem Dach gab, verschluckt, saß ein wohlbeleibter Mann mit einer Brille. Obwohl es sehr heiß war, trug er ein langärmeliges Hemd, unter dem er sehr schwitzte. Ganz konzentriert las er in einer Zeitung, sodass er lediglich kurz aufblickte und nickte, als wir beim Eintreten allen Anwesenden artig einen buenos dias gewünscht hatten. Auf einem niedrigen Tischchen neben ihm stand ein großes Glas Limonade, die so kalt war, dass das Glas beschlagen war. Manchmal tasteten seine Finger danach und hoben es hinter die Zeitung. Eine Überschrift auf der mir zugewandten Seite stach direkt ins Auge. Natürlich war es Spanisch, aber die Worte Policia , Mafia und Corrupión sind doch auf der ganzen Welt zu verstehen.
Schließlich malte ich mir noch aus, dass die beiden Mädchen beste Freundinnen waren, die ohne Eltern durch ganz Südamerika reisten und von hundertfünfzig Abenteuern zu erzählen wussten, dass die Frau im roten Bikini – womöglich Single oder auch frisch geschieden – Caracas wegen der exklusiven Modenschau besuchte, die auf einem Plakat in der Hotellobby angekündigt worden war, und dass der dicke Mann mit der Brille ein stinkreicher amerikanischer Banker war, der nichts besseres mit seinen Millionen anzufangen wusste, als sie mit kalter Limonade zu verschleudern – doch dann begann ich endlich zu lesen.
„… Rote Hosen hat sie an…“, hörte ich wie von Ferne eine vertraute Stimme erzählen. „… Und oben ist sie nackig!“ Die Stimme kicherte mit kindlicher Verlegenheit. „Aber ich hab trotzdem hingesehen, und zwar gestern, im Museum.“
„Du gehst ins Museum? Das ist aber toll“, bemerkte eine sanfte Frauenstimme, die mir völlig unbekannt war.
„Ja“, trällerte die Kinderstimme voller Stolz. „Meine Eltern nehmen mich oft mit: ins Museum, in Ausstellungen…“
„So?“, fragte die fremde Stimme hellhörig. „Was machen denn deine Eltern?“
„Sie sind Kunstexperten“, war die knappe Antwort. Es klang genauso wie ein kleiner Junge eben ein schweres Wort benutzt, das er von Erwachsenen aufgeschnappt und zu seinem eigenen Wortschatz hinzugefügt hat, ohne recht die volle Bedeutung, die dahinter steckt, zu erahnen.
„Na, dann konnten sie dir ja bestimmt viele tolle Geschichten über die Gemälde erzählen.“
„Ach nö, so viele Bilder haben wir auch gar nicht angeguckt. Nur die nackte Frau.“
„Das ist aber schade“, nahm die fremde Stimme aufrichtig Anteil. „Hat dir das Bild denn wenigstens gefallen?“
„Nein“, entgegnete das Stimmchen mit einer unverblümten Ehrlichkeit, wie sie nur Kinder hervorbringen können. Eine kurze Schweigepause folgte. „Aber das macht auch gar nichts“, fuhr das Stimmchen plötzlich fort. „Es ist ja nicht echt.“ Eine weitere, noch längere Pause entstand.
„Ach! Wie meinst du das denn: es ist nicht echt?“, fragte die Stimme gedehnt langsam. Die Blätter einer hektisch zusammengefalteten Zeitung raschelten – das Geräusch kam aus einer anderen Ecke als die Stimmen.
„Das darf ich Ihnen leider nicht sagen. Es ist nämlich ein Geheimnis.“
„Oh, Geheimnisse sind bei mir gut aufgehoben, glaubst du mir das etwa nicht?“, fragte die
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