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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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formschönen Mustern. Wie hieraus ersichtlich, war an alles beizeiten gedacht worden. Zwischen den einzelnen Vorträgen versuchte ich die Landeszeitungen zu studieren. Ich verstand nur Brocken von ihrem Spanisch, doch erfuhr ich immerhin soviel: die Regierung hatte Panzertruppen um die Hauptstadt zusammengezogen, die gesamte Polizei in Alarmbereitschaft versetzt und den Ausnahmezustand verhängt. Im Saal wußte anscheinend niemand außer mir um die ernste Lage jenseits der Mauern. Um sieben Uhr war Pause, und man konnte etwas essen, natürlich jeder auf eigene Kosten. Ich aber kaufte mir auf dem Rückweg zum Saal die neueste Extraausgabe des Regierungsblattes »Nacion« und ein paar Nachmittagszeitungen der extremistischen Oppositionspartei. Trotz meiner Mühe mit dem Spanischen befremdete mich diese Lektüre: unmittelbar neben wohlig optimistischen Lobeshymnen auf die weltbeglückende Macht zwischenmenschlicher Liebesbande las ich Artikel mit Ankündigungen blutiger Zwangsmaßnahmen oder mit extremistischen Gegendrohungen in ähnlichem Ton. Diese Buntscheckigkeit wußte ich mir nicht anders zu erklären als unter Zuhilfenahme der Hypothese, manche Journalisten hätten an diesem Tage Leitungswasser getrunken und manche nicht. Das Organ der Rechten hatte naturgemäß weniger abbekommen, denn die Mitarbeiter verdienten besser als die der Opposition und stärkten sich während der Arbeit mit allerlei teurem Gebräu. Doch auch die Extremisten löschten ihren Durst nur ausnahmsweise mit Wasser, obwohl sie bekanntlich für höhere Leitsätze und Ideale zu Entsagungen bereit sind; man bedenke indessen, daß Quartzupio, ein Getränk aus dem vergorenen Saft der Pflanze Melmenole, in Costricana ungemein billig ist. Wir sanken wieder in die weichen Klubsessel, und Professor Dringenbaum aus der Schweiz hatte kaum die erste Ziffer seiner Rede ausgesprochen, da erdröhnten dumpfe Detonationen. Das Gebäude bebte leicht in den Fundamenten, Fensterglas klingelte, aber die Optimisten riefen, es handle sich bloß um ein Erdbeben. Da die Gegenbewegler seit Debattenbeginn das Hotel abklapperten, neigte ich meinerseits zu der Annahme, eine dieser Gruppen habe in der Hall Petarden geschleudert. Stärkeres Krachen und Donnern brachte mich von dieser Ansicht ab; ich vernahm auch das unverkennbare Stakkato von Maschinengewehren. Selbstbetrug war nicht mehr möglich: Costricana hatte das Stadium der Straßenkämpfe erreicht. Aus dem Saal verflüchtigten sich zuerst die Presseleute. Von den Schüssen aufgescheucht wie von einem Wecksignal, rannten sie pflichteifrig auf die Straße. Professor Dringenbaum versuchte noch eine Weile lang die Vorlesung fortzusetzen, die in recht pessimistischer Tonart abgefaßt war: er behauptete, als nächste Phase unserer Zivilisation werde die Kannibalisation eintreten. Er berief sich auf die bekannte Theorie jener Amerikaner, nach deren Berechnung sich die Menschheit binnen vierhundert Jahren in eine lebende und mit Lichtgeschwindigkeit weiterwachsende Kugel von Leibern verwandeln wird, sofern auf der Erde alles so weitergeht wie bisher. Neue Explosionen unterbrachen jedoch den Vortrag. Die verunsicherten Futurologen verließen den Saal und mengten sich in der Hall unter die Teilnehmer des Kongresses der Befreiten Literatur, denen man ansah, daß sie der Ausbruch der Kämpfe mitten in Manifestationen vollkommener Gleichgültigkeit gegen die Übervölkerungsgefahr ereilt hatte. Sekretärinnen (die ich nicht als leichtgeschürzt bezeichnen möchte, da ihre Haut lediglich von aufgemalten Op-Art-Mustern bedeckt war) trugen den Redakteuren des Knopf-Verlags die griffbereiten Nargilehs und Wasserpfeifen nach, worin eine Modemischung aus LSD, Marihuana, Yohimbin und Opium brannte. Wie ich erfuhr, hatten die Vertreter der Befreiten Literatur soeben den Postminister der USA in effigie verbrannt; dieser verlangte nämlich in seinem Amtsbereich die Vernichtung allen Werbematerials für Massen-Blutschänderei. Unten in der Hall angelangt, benahmen sie sich sehr ungehörig, zumal wenn man den Ernst der Lage bedenkt. Kein öffentliches Ärgernis erregten nur diejenigen, die schon ganz erschlafft waren oder im Drogenrausch dahindämmerten. Die anderen belästigten die Hotel-Telefonistinnen, deren Geschrei aus den Zellen herübertönte, während ein Dickwanst im Leopardenfell mit erhobener Haschischfackel zwischen den Kleiderschragen der Garderobe wütete und alles dortige Personal anfiel. Mit Mühe bändigten ihn die

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