Der futurologische Kongreß
11 und somit 22; 5, 9, ergo 22; 3, 7, 2, 11 und demzufolge wiederum 22!!! Jemand erhob sich und rief, es gebe immerhin 5, allenfalls auch 6, 18 und 4; diesen Einwand wehrte Hazelton blitzartig ab: so oder so ergebe sich 22! Ich suchte im Text seines Referats den Codeschlüssel und entnahm ihm, daß die Zahl 22 die endgültige Katastrophe bezeichnete. Sodann schilderte der Japaner Hayakawa die neue, in seinem Lande entwickelte Hausform der Zukunft: achthundertstöckig, mit Gebärkliniken, Kinderkrippen, Schulen, Kaufläden, Museen, Tierparks, Theatern, Kinos und Krematorien. Der Entwurf umfaßte unterirdische Lagerräume für die Asche der Verstorbenen, vierzigkanäliges Fernsehen, Berauschungs- und Ausnüchterungszellen, turnsaalähnliche Hallen für Gruppensexbetrieb (der Ausdruck fortschrittlicher Gesinnung seitens der Entwerfer) sowie Katakomben für unangepaßte Subkulturgruppen. Einigermaßen neu war der Gedanke, jede Familie solle jeden Tag aus der bisherigen Wohnung in die nächste übersiedeln, entweder in der Zugrichtung des Schach-Bauern oder im Rösselsprung, alles, um Langeweile und Frustration zu verhüten. Doch dieses siebzehn Kubik-Kilometer ausfüllende, im Meeresgrund wurzelnde und bis in die Stratosphäre ragende Bauwerk hatte sicherheitshalber auch eigene Heiratsvermittlungscomputer mit sadomasochistischem Programm (Ehen zwischen Sadisten und Masochistinnen oder umgekehrt sind statistisch gesehen am haltbarsten, weil jeder Partner das hat, wonach er sich sehnt); auch gab es ein Therapiezentrum für Selbstmordkandidaten. Hakayawa, der zweite Vertreter Japans, zeigte uns das Raummodell eines solchen Hauses im Maßstab 1:10 000. Das Haus hatte eigene Sauerstoffspeicher, aber weder Wasser- noch Nahrungsreserven; es war nämlich als geschlossenes System geplant und sollte alle Ausscheidungen wieder aufbereiten, sogar den aufgefangenen Todesschweiß und sonstige Ausflüsse des Körpers. Yahakawa, ein dritter Japaner, verlas die Liste aller aus den Abwässern des ganzen Bauwerks regenerierbaren Gaumenfreuden; dazu gehörten unter anderem künstliche Bananen, Lebkuchen, Shrimps und Austern, ja, sogar künstlicher Wein; trotz seiner Herkunft, die unliebsame Nebengedanken wachrief, schmeckte er angeblich so gut wie die besten Tropfen der Champagne. In den Saal gelangten formschöne Fläschchen mit Kostproben und für jeden ein Pastetchen in Klarsichtpackung. Doch niemand war sehr aufs Trinken erpicht, und die Pastetchen ließ man diskret unter die Sessel verschwinden, also behandelte ich meines ebenso. Nach dem ursprünglichen Plan hätte jedes solche Haus mittels gewaltiger Rotoren auch fliegen können, was Gesellschaftsreisen ermöglicht hätte. Davon wurde jedoch abgesehen, denn erstens sollten für den Anfang 900 Millionen solcher Häuser entstehen, zweitens war der Ortswechsel gegenstandslos: selbst wenn das Haus 1000 Ausgänge hätte, die alle zugleich benützt würden, kämen niemals alle Bewohner ins Freie, da ja neue Kinder geboren würden und heranwüchsen, ehe der letzte das Gebäude verlassen hätte.
Die Japaner schienen höchst entzückt von ihrem Projekt. Nach ihnen ergriff Norman Alpler das Wort, ein Vertreter der USA. Er beantragte siebenerlei Methoden zur Bremsung der Bevölkerungsexplosion, nämlich erstens propagandistisches und zweitens polizistisches Verekeln, ferner Ent-Erotisieren, Zwangszölibatisieren, Onanisieren, Subordinieren und bei Unverbesserlichkeit – Kastrieren. Ehepaare sollten sich um das Recht auf ein Kind bewerben, indem sie eigene Prüfungen aus drei Gebieten ablegten: Begattung, Erziehung und Vermeidung. Illegales Gebären sollte strafbar sein; für Vorsatz und Rückfall drohte den Schuldigen lebenslängliches Zuchthaus. Zu diesem Vortrag gehörten die hübschen Faltblätter und Abreißkuponblöcke, die wir mit dem Kongreßmaterial bekommen hatten. Hazelton und Alpler forderten neue Berufszweige, nämlich Ehen-Überwacher, Verbieter, Unterbrecher und Verstopfer. Unverzüglich wurde uns der Entwurf des neuen Strafgesetzbuches ausgehändigt; Befruchtung galt darin als ausnehmend schweres Verbrechen an der Gesellschaft. Während des Austeilens ereignete sich ein Zwischenfall: von der Zuhörergalerie warf jemand einen Molotow-Cocktail in den Saal. Der Rettungsdienst waltete seines Amtes (er stand bereit, diskret in den Wandelgängen versteckt), und die Saalordner verdeckten die zermalmten Sessel und Überreste schleunigst mit einer großen Nylonplane in fröhlichen
Weitere Kostenlose Bücher