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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Gruppe in ein und demselben Stockwerk untergebracht. Doch um mich zu ehren, hatte mir die Direktion das Appartement im hundertsten Stock gegeben, weil es einen eigenen Palmenhain hatte, wo Bach-Konzerte stattfanden; das Orchester war weiblich und vollführte beim Spielen gemeinschaftlich Strip-Tease. Das alles hätte ich gern entbehrt, aber leider war kein Zimmer frei. Ich mußte also bleiben, wo man mich einquartiert hatte. Kaum saß ich auf einem Barhocker im Büffet meines Stockwerkes, da hielt mir schon der stämmige Sitznachbar das schwere beschlagene Doppelgewehr unter die Nase, das er umgehängt trug. (Von den schwarzen Bartzotteln des Mannes konnte ich wie von einer Speisekarte alle Mahlzeiten der letzten Woche ablesen.) Er lachte rauh und fragte, was ich von seiner Päpstlerin hielte. Ich begriff nichts, aber das wollte ich lieber nicht eingestehen. Bei Zufallsbekanntschaften ist Schweigen die beste Taktik. Er offenbarte mir denn auch eifrig von selbst, dieser doppelläufige Stutzen mit Laservisier, Schnelldrücker und Lader sei eine Waffe gegen den Papst. Unentwegt schwatzend zückte der Bärtige ein geknicktes Foto; es zeigte ihn selbst, wie er eben auf eine Puppe mit Priesterkäppchen anlegte. Er behauptete, er sei schon in Höchstform und rüste sich eben zur großen Wallfahrt nach Rom, um dort den Heiligen Vater vor dem Petersdom abzuknallen. Ich glaubte kein Wort, doch unter stetigem Geplapper zeigte mir der Kerl ein Flugbillet mit Buchung, ein Meßbuch, den Prospekt einer Pilgerreise für amerikanische Katholiken und endlich ein Päckchen Patronen mit kreuzweis geritzten Köpfen. Aus Ersparnisgründen hatte er nur die Hinfahrt bezahlt, denn er rechnete damit, von den empörten Wallern in Stücke gerissen zu werden. Diese Aussicht schien ihn in blendende Laune zu versetzen. Zunächst hielt ich ihn für einen Irren oder für einen der extremistischen Berufsattentäter, die ja heute nicht selten sind. Doch auch hier täuschte ich mich. Pausenlos schwatzend und immer wieder vom hohen Hocker kriechend, um die heruntergerutschte Flinte aufzuklauben, offenbarte er mir, er sei just ein glühender strenggläubiger Katholik. Die geplante Aktion (die er »Aktion P« nannte) sei ein besonderes Opfer seinerseits. Er wolle das Gewissen der Menschheit aufrütteln, und was rüttle daran wohl besser als solch ausbündige Tat? Was nach der Heiligen Schrift Abraham mit Isaak getan habe, das werde auch er tun, nur eben umgekehrt, nicht mit dem Sohn, sondern mit dem Vater, noch dazu mit dem Heiligen, erläuterte er mir. Solcherart beweise er den höchsten von einem Christen je aufgebrachten Opfermut und liefere den Körper an die Martern aus, die Seele aber an die Verdammnis, alles nur, um der Menschheit die Augen zu öffnen. »Um dieses Augenöffnen bemühen sich ein bißchen zu viele« – dachte ich. Von der Standrede nicht überzeugt, ging ich den Papst retten, das heißt, den Plan verraten. Aber als ich im Büffet des 77. Stockwerks auf Stantor stieß, da ließ er mich gar nicht ausreden; er sagte, unter den Geschenken der letzten amerikanischen Wallfahrergruppe an Hadrian den Elften hätten sich ein Meßwein-Fäßchen voll Nitroglyzerin sowie zwei Zeitbomben befunden. Den blasierten Ton begriff ich besser, als ich hörte, daß die Extremisten soeben ein Bein in die Botschaft geschickt hätten; nur von wem es stamme, sei noch ungeklärt. Im übrigen sprach Stantor nicht zu Ende; er wurde ans Telefon gerufen, denn in der Avenida Romana hatte sich angeblich jemand aus Protest in Brand gesteckt. Im Büffet des 77. Stockwerks war die Stimmung ganz anders als oben bei mir. Es gab viele barfüßige und bis zum Gürtel in Kettenhemden gehüllte Mädchen; manch eine trug einen Säbel. Einige hatten ihre langen Zöpfe nach neuester Mode am Collier oder am nägelgespickten Halsband befestigt. Ich bin nicht sicher: waren das nun Streichholzschachtelsammlerinnen oder die Sekretärinnen des Verbandes Befreiter Verleger? Die farbigen Standfotos, die gerade betrachtet wurden, sahen mir eher nach Spezialpublikationen aus. Ich fuhr neun Stockwerke abwärts, dorthin, wo meine Futurologen hausten. Schon wieder in einem Büffet angelangt, nahm ich einen Long Drink mit Alphonse Mauvin von Agence France Presse; zum letztenmal versuchte ich den Papst zu retten, aber Mauvin nahm meinen Bericht mit stoischem Gleichmut auf und brummte nur, vorigen Monat habe im Vatikan ein australischer Pilgrim geschossen, aber von einem völlig anderen

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