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Der futurologische Kongreß

Der futurologische Kongreß

Titel: Der futurologische Kongreß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Schlager, der mit den Worten beginnt: »Wer heut nicht für Geschlechtsteil wirbt, ein Hundsfott, der’s Geschäft verdirbt, denn heut ist jedem angenehm das Urogenitalsystem«. Die ersten Bankettierer trafen ein, alle mit Rauschebart und martialischem Schnauz, im übrigen lauter junge Leute, im Pyjama oder auch ohne. Sechs Kellner trugen eine Torte herein; beim Anblick dieser unanständigsten Süßspeise der Welt konnte ich nicht länger zweifeln: ich hatte mich im Saal geirrt und war wider Willen beim Bankett der Befreiten Literatur gelandet. Unter dem Vorwand, die Sekretärin sei mir abhanden gekommen, entwich ich schleunigst und fuhr ins nächsttiefere Stockwerk, um am rechten Platze aufzuatmen. Der Purpursaal (nicht der Rosasaal, in den ich mich vorher verirrt hatte) war schon voll. Der bescheidene Aufwand enttäuschte mich, aber ich ließ mir möglichst wenig anmerken. Das Büffet war ein kaltes Stehbuffet; um die Konsumation zu erschweren, hatte man aus dem riesigen Saal alle Stühle und Sessel entfernt. Es galt also, die bei solchen Anlässen übliche Behendigkeit zu entwickeln, zumal da die gehaltvolleren Schüsseln wüst umdrängt wurden. Ein Vertreter der costricanesischen Sektion der Futurologischen Gesellschaft, Senor Cuillone, erklärte mit bezauberndem Lächeln, jedwede Schlemmerei wäre fehl am Platze, denn zu den Themen der Tagung zähle auch die Hungersnot, die der Menschheit drohe. Natürlich fanden sich Skeptiker. Sie sagten, der Gesellschaft seien die Zuwendungen gekürzt worden, und nur dies erkläre so krasse Sparmaßnahmen. Die Presseleute mußten fasten: so wollte es ihr Beruf. Sie eilten rastlos zwischen uns umher und sammelten Kurzinterviews mit den Leuchten der ausländischen Prognostik. Statt des Botschafters der USA erschien nur der Dritte Botschaftssekretär mit mächtiger Schutztruppe und als einziger im Smoking, da sich eine kugelsichere Weste unter dem Pyjama schwer verbergen läßt. Gäste aus der Stadt wurden unten in der Hall durchsucht. Wie ich hörte, türmte sich dort schon ein ansehnlicher Stapel gefundener Waffen. Die eigentlichen Debatten waren für fünf Uhr anberaumt. So blieb noch Zeit, um im Zimmer auszuruhen. Ich fuhr also in den hundertsten Stock. Die versalzenen Salate hatten mich sehr durstig gemacht. Doch das Büffet meines Stockwerks umlagerten Gegenbewegler und Dynamitbrüder mit ihren Mädchen, und mir genügte schon jenes eine Gespräch mit dem bärtigen Papisten (oder Antipapisten?). Ich beschied mich also mit einem Glas Leitungswasser. Kaum hatte ich es ausgetrunken, da erlosch im Bad und in beiden Zimmern das Licht. Und welche Telefonnummer ich auch wählte, ich wurde stets mit einem Automaten verbunden, der das Märchen von Aschenputtel erzählte. Ich wollte abwärts fahren, doch auch der Lift funktionierte nicht. Ich hörte den Chor der Gegenbewegler singen und im Takt bereits schießen – daneben, wie ich hoffte. Sogar in erstklassigen Hotels kommen Defekte vor; das ist freilich ein schwacher Trost. Am meisten erstaunte mich jedoch die eigene Reaktion. Meine seit dem Gespräch mit dem Papstschützen eher üble Laune besserte sich von Sekunde zu Sekunde. Durchs Zimmer tappend und den Hausrat umwerfend, lächelte ich huldvoll in die Finsternis. Nicht einmal das Knie, das ich mir an den Koffern blutig schlug, schmälerte mein Wohlwollen für die ganze Welt. Ich ertastete auf dem Nachttisch Reste der Mahlzeit, die ich mir zwischen Frühstück und Lunch aufs Zimmer bestellt hatte. Ich steckte ein Schnipsel von einem Kongreßfaltblatt in ein Scheibchen Butter, zündete das Papier mit einem Streichholz an und gewann somit eine Kerze, wenn sie auch rußte. In ihrem Schein setzte ich mich in den Lehnstuhl, ich hatte ja noch mehr als zwei Stunden Freizeit. (Eine davon benötigte ich allerdings zur Treppenwanderung, falls der Lift gestört blieb.) Mein Gemütszustand durchlief weitere Schwankungen und Wandlungen, die ich mit lebhaftem Interesse beobachtete. Mir war vergnügt zumute, schlechtweg köstlich. Im Nu konnte ich Unmengen von Argumenten zum Lob der eingetretenen Sachlage aufzählen. Für einen der feinsten erdenklichen Plätze der Welt hielt ich allen Ernstes ein Hilton-Appartement voll Qualm und Ruß aus einem Butterstümpfchen, inmitten ägyptischer Finsternis, ohne Verbindung zur Außenwelt und mit einem Telefon, das Märchen erzählt. Ferner verspürte ich den übermächtigen Wunsch, dem erstbesten Mitmenschen die Haare zu streicheln oder zumindest

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