Der Gang vor die Hunde (German Edition)
prangte ein bunter Glasteller, der schlug Wellen und enthielt Ansichtskarten. Fabian nahm die oberste Karte. Sie zeigte den Kölner Dom, und er dachte an das Zigarettenplakat. »Liebe Mucki«, las er, »geht’s dir gut und reicht das Geld? Ich habe ganz hübsche Aufträge gemacht, morgen geht’s nach Düsseldorf. Gruß und Kuß, Kurt.« Er legte die Karte auf den Teller zurück und trank ein Glas Kirschwasser.
Mittags aß er, um Mucki nicht zu verstimmen, den Teller leer. Sie war so froh darüber, als habe ein Hund den Napf sauber gefressen. Hinterher gab es Kaffee.
»Willst du mir gar nichts von dir erzählen, Schatz?« fragte sie.
»Nein«, sagte er und ging ins Wohnzimmer. Sie lief hinter ihm her. Er stand am Fenster.
»Komm aufs Sofa«, bat sie. »Man könnte dich sehen. Und sei nicht böse.«
Er setzte sich aufs Sofa. Sie brachte den Kaffee herein, nahm neben Fabian Platz und knöpfte die Bluse auf.
»Jetzt kommt der Nachtisch«, sagte sie. »Aber nicht wieder beißen.«
Gegen drei Uhr ging er.
»Wirst du auch bestimmt wiederkommen?« Sie stand vor ihm, brachte ihren Rock und die Strümpfe in Ordnung und sah ihn bittend an. »Schwöre, daß du wiederkommst.«
»Wahrscheinlich komme ich«, sagte er. »Versprechen kann ich es nicht.«
»Ich warte mit dem Abendbrot«, erklärte sie, dann öffnete sie die Tür.
»Rasch!« flüsterte sie. »Die Luft ist rein.«
Er sprang die Treppe hinunter. Die Luft ist rein, dachte er und empfand Abscheu vor dem Haus, das er verließ. Er fuhr zum Großen Stern, durchquerte den Tiergarten bis zum Brandenburger Tor, verlor sich wieder in den Anlagen, die Rhododendren blühten. Er geriet in die Siegesallee. Die Dynastie der Hohenzollern und der Bildhauer Begas schienen unverwüstlich.
Vor dem Café Schottenhaml machte Fabian kehrt. Was ließ sich hier noch besprechen? Es war zu spät zum Reden. Er ging weiter, kam auf die Potsdamer Straße, stand unentschlossen auf dem Potsdamer Platz, lief die Bellevuestraße hinauf und befand sich wieder vor dem Café. Und jetzt trat er ein. Cornelia saß da, als warte sie seit Jahren, und winkte ein wenig.
Er setzte sich. Sie nahm seine Hand. »Ich glaubte nicht, daß du kämst«, sagte sie schüchtern. Er schwieg und sah an ihr vorbei. »Es war nicht recht von mir, nicht wahr?« flüsterte sie und senkte den Kopf. Tränen fielen in ihren Kaffee. Sie schob die Tasse beiseite und trocknete sich die Augen.
Er blickte vom Tisch fort. Die Wände zwischen den zwei Treppen, die, barock gedrechselt, in das Obergeschoß führten, waren mit vielen bunten Papageien und Kolibris bevölkert. Die Vögel waren aus Glas. Sie hockten auf gläsernen Lianen und Zweigen und warteten auf den Abend und seine Lampen, damit der zerbrechliche Urwald zu leuchten beginne.
Cornelia flüsterte: »Warum siehst du mich nicht an?« Dann preßte sie das Taschentuch vor den Mund. Und ihr Weinen klang, als wimmere weit entfernt ein verzweifeltes Kind. Das Lokal war leer. Die Gäste saßen draußen vor dem Haus, unter großen roten Schirmen. Nur ein Kellner stand in der Nähe. Fabian blickte ihr ins Gesicht. Ihre Augen zitterten vor Aufregung. »Sprich endlich ein Wort«, sagte sie mit rauher Stimme.
Sein Mund war ausgetrocknet. Die Kehle war zusammengepreßt. Er schluckte mühsam.
»Sprich ein Wort«, wiederholte sie ganz leise und faltete auf dem Tischtuch, zwischen dem Nickelgeschirr, die Hände.
Er saß und schwieg.
»Was soll bloß aus mir werden«, flüsterte sie, als spreche sie zu sich selber und er sei gar nicht mehr da. »Was soll bloß aus mir werden?«
»Eine unglückliche Frau, der es gut geht«, sagte er viel zu laut. »Überrascht dich das? Kamst du nicht deswegen nach Berlin? Hier wird einem nichts geschenkt, hier wird getauscht. Wer haben will, muß hingeben, was ist.«
Er wartete eine Weile, doch sie schwieg. Sie nahm die Puderdose aus der Tasche, ließ sie dann aber ungeöffnet liegen. Er hatte sich wieder in der Gewalt. Sein leicht ermüdbares Gefühl gab Ruhe und wich dem Drang, Ordnung zu schaffen. Er blickte auf das, was geschehen war, wie auf ein verwüstetes Zimmer, und begann, kalt und kleinlich, aufzuräumen. »Du kamst mit Absichten hierher, die sich rascher erfüllt haben, als zu hoffen stand. Du hast einen einflußreichen Menschen gefunden, der dich finanziert. Er finanziert dich nicht nur, er gibt dir eine berufliche Chance. Ich bezweifle nicht, daß du Erfolg haben wirst. Dadurch verdient er das Geld zurück, das er
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