Der Gang vor die Hunde (German Edition)
jeden Morgen betrunken nach Haus. Das lag an dem verdammten Sekt. Er sang Studentenlieder, bestellte einen sauren Hering, wurde von der Portiersfrau abgekanzelt und schenkte einer alten gichtkranken Hofsängerin, daß sie das Singen lasse, seinen letzten Taler.
Doch das Schicksal schritt, so schnell es konnte. Die alte Hofsängerin war, wer hätte sie sonst sein sollen? niemand anders als die Mutter des fünfzigjährigen Studenten! Zwölf Jahre lang hatte er sie nicht gesehen, erhielt allmonatlich Geld von ihr und glaubte, sie sei noch immer, wie einst, Hofopernsängerin. Natürlich erkannte er sie nicht. Aber Mutteraugen sehen schärfer, sie wußte sofort: der oder keiner. Jedoch, die Zuspitzung des Dramas verzögerte sich. Eine Liebesaffäre brach herein. Der Student liebte und wurde geliebt, letzteres geschah durch Fräulein Martin, jene bildhübsche Näherin, die gegenüber wohnte, die Nähmaschine trat und wie eine Lerche sang. Ellen Martin, die singende Lerche, wog gut zwei Zentner. Sie hüpfte, daß sich die Bühne bog, aus der Kulisse und sang mit Direktor Blasemann, dem Studenten, Couplets. Der Anfang des erfolgreichsten Duetts lautete:
»Schatzi du, ach Schatzi mein,
sollst mein ein und alles sein!«
Das junge Paar, das zusammen an die hundert Lenze zählen mochte, schob sich wuchtig auf dem Hof, den die Szene darstellen sollte, hin und her; dann versprach er ihr die Ehe, sie aber wurde traurig, weil er alte Sängerinnen vom Hofe zu treiben pflege. Dann sangen sie das nächste Couplet.
Die Leute klatschten Beifall. Die Frau, um die Fabian seine Hand liegen hatte, machte eine leichte Drehung, sie gab ihm die Brust. »Ach, ist das schön«, sagte sie. Vermutlich meinte sie das Stück. Im Zuschauerraum herrschte wieder feierliche Stille. Die alte, gebeugte, gichtkranke Hofsängerin, die den Sohn Medizin studieren und einem feudalen Korps angehören ließ, wackelte aus der Kulisse, erreichte den Hof mit Müh und Not, hob den Zeigefinger, der Pianist gehorchte, und ein rührseliges Mutterlied war im Entstehen begriffen.
»Gehen wir«, sagte Fabian und ließ den Büstenhalter der fremden Frau los.
»Schon?« fragte sie erstaunt, aber sie folgte ihm.
»Hier wohne ich«, erklärte sie vor einem großen Haus in der Müllerstraße. Sie schloß auf. Er sagte: »Ich komme mit hinauf.«
Sie sträubte sich, es klang nicht überzeugend, er drückte sie in den Hausflur. »Was werden bloß meine Wirtsleute sagen? Nein, sind Sie stürmisch. Aber recht leise, ja?« An der Tür stand: Hetzer.
»Wieso sind zwei Betten in deinem Zimmer?« fragte er.
»Pst, man kann uns hören«, flüsterte sie. »Die Wirtsleute haben keinen Platz zum Abstellen.«
Er zog sich aus. »Mach nicht so viel Umstände«, sagte er.
Sie schien Koketterie für unerläßlich zu halten und zierte sich wie eine späte Jungfrau. Schließlich lagen sie nebeneinander. Sie löschte das Licht, und erst jetzt entkleidete sie sich völlig. »Einen Moment«, flüsterte sie, »nicht böse sein.« Sie knipste eine Taschenlampe an, breitete ein Tuch über sein Gesicht und untersuchte, im Schein der Taschenlampe, seinen Sexualapparat wie ein alter Kassenarzt. »Entschuldigen Sie, man kann heutzutage nicht vorsichtig genug sein«, erklärte sie anschließend. Und nun stand nichts mehr im Wege.
»Ich bin Verkäuferin in einem Handschuhgeschäft«, berichtete sie etwas später. »Willst du bis morgen früh bleiben?« fragte sie nach einer weiteren halben Stunde. Er nickte. Sie verschwand in der Küche, er hörte, wie sie spülte. Sie brachte warmes Seifenwasser, wusch ihn sorgfältig, mit hausfraulichem Eifer, und stieg wieder ins Bett.
»Stört es deine Wirtsleute nicht, wenn du in der Küche Wasser wärmst?« fragte er. »Laß das Licht brennen!«
Sie erzählte belanglose Dinge, fragte, wo er wohne und nannte ihn »Schatz«. Er musterte die Zimmereinrichtung. Außer den Betten war noch ein leidenschaftlich geschwungenes Plüschsofa anwesend, ferner ein Waschtisch mit Marmorplatte, ein scheußlicher Farbendruck, woselbst eine junge mollige Frau, im Nachthemd auf einem Eisbärenfell hockend, mit einem rosigen Baby spielte, und ein Schrank mit einem Türspiegel, der schlecht funktionierte. Wo ist Cornelia? dachte er und fiel wieder über die nackte erschrockene Verkäuferin her.
»Man sollte Angst vor dir haben«, flüsterte sie darnach. »Willst du mich umbringen? Aber es ist wunderbar.« Sie kniete sich neben ihn, betrachtete aus geweiteten Augen sein
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