Der Gang vor die Hunde (German Edition)
gleichgültiges Gesicht und küßte ihn.
Als sie todmüde eingeschlafen war, lag er noch immer wach, allein in einem fremden Zimmer, blickte angespannt ins Dunkel und dachte: Cornelia, was haben wir getan?
Siebzehntes Kapitel Kalbsleber, aber ohne Flexen – Er sagt ihr die Meinung – Ein Reisender verliert die Geduld
»Ich habe gelogen«, sagte die Frau am andern Morgen. »Ich gehe gar nicht ins Geschäft. Und die Wohnung gehört mir. Und wir sind ganz allein. Komm in die Küche.«
Sie goß Kaffee ein, strich Brötchen, klopfte ihm zärtlich auf die Wange, band die Schürze ab und setzte sich zu ihm an den Küchentisch. »Schmeckt’s?« fragte sie munter, obwohl er nicht aß. »Blaß siehst du aus, Schatz. Es ist aber auch kein Wunder. Greif tüchtig zu, damit du wieder groß und stark wirst.« Sie legte ihren Kopf an seine Schulter und spitzte wie ein Backfisch die Lippen.
»Du hattest Angst, ich könnte dir das Sofa stehlen oder dir den Bauch aufschlitzen?« fragte Fabian. »Und wie kommen die zwei Betten in dein Schlafzimmer?«
»Ich bin verheiratet«, sagte sie. »Mein Mann reist für eine Trikotagenfirma. Augenblicklich ist er im Rheinland. Dann fährt er nach Württemberg. Er ist mindestens noch zehn Tage unterwegs. Willst du solange bleiben?«
Er trank Kaffee und gab keine Antwort.
»Ich brauche wen«, erklärte sie heftig, als hätte ihr jemand widersprochen.
»Nie ist er da, und wenn er da ist, lohnt sich’s auch nicht. Bleib die zehn Tage bei mir. Mach dir’s bequem. Ich koche gut. Geld habe ich auch. Was willst du heute mittag essen?« Sie begann zu wirtschaften und blickte ängstlich zu ihm hin.
»Ißt du gern Kalbsleber mit Bratkartoffeln? Warum antwortest du denn gar nicht?«
»Habt ihr Telefon?« fragte er.
»Nein«, sagte sie. »Willst du fort? Bleib doch. Es war so schön. Es war so schön wie noch nie.« Sie trocknete sich die Hände und fuhr streichelnd über sein Haar.
»Ich bleibe ja«, meinte er. »Aber ich muß telefonieren.«
Sie sagte, telefonieren könne man beim Fleischer Rarisch, und ob er ein halbes Pfund frische Kalbsleber mitbringen wolle, ohne Flexen. Dann gab sie ihm Geld, öffnete vorsichtig die Vorsaaltür, und weil die Treppe leer war, durfte er aus der Wohnung.
»Ein halbes Pfund frische Kalbsleber, aber ohne Flexen«, sagte er im Fleischerladen. Dann rief er, während man ihn bediente, Zacharias an. Das Telefon war fettig.
»Nein«, erklärte Zacharias, »mir ist nichts eingefallen. Aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, das wäre doch gelacht, mein Lieber. Wissen Sie was, kommen Sie morgen wieder mal vorbei. Es geht manchmal schnell. Schlimmstenfalls plaudern wir ein bißchen. Ist es Ihnen recht? Wiedersehen.«
Fabian nahm die Kalbsleber in Empfang. Das Papier blutete. Er zahlte und trug das Fleischpaket vorsichtig ins Haus. Weil die Nachbarin die Türklinke putzte, stieg er bis zur vierten Etage hinauf. Nach einigen Minuten kam er wieder herunter. Die Frau, mit der er die Nacht zusammengewesen war, öffnete, ohne daß er zu klingeln brauchte, und zog ihn in die Wohnung. »Gott sei Dank«, flüsterte sie. »Ich dachte schon, die Klatschtante würde uns erwischen. Setz dich ins Wohnzimmer, Schatz. Willst du Zeitung lesen? Ich räume inzwischen auf.«
Er legte das Geld, das er zurückbekommen hatte, auf den Tisch, setzte sich ins Wohnzimmer und las Zeitung. Er hörte die Frau singen. Nach einer Weile brachte sie ihm Zigaretten und Kirschwasser und blickte ihm über die Schulter. »Um eins wird gegessen«, sagte sie. »Hoffentlich fühlst du dich recht behaglich.«
Dann verschwand sie wieder und sang draußen weiter. Er las den Polizeibericht über den Krawall in der Reinickendorfer Straße. Der Wachtmeister, der den Messerstich erhalten hatte, war im Krankenhaus gestorben. Von den Demonstranten waren drei schwer verletzt worden. Einige andere hatte man verhaftet. Die Redaktion schrieb von unverantwortlichen Elementen, welche die Arbeitslosen immer wieder aufzuwiegeln versuchten, und von der bedeutenden Aufgabe, die der Polizei zufalle. Es gehe nicht an, obwohl es von gewissen Kreisen ununterbrochen versucht werde, den Etat für die Schutzpolizei zu senken. Vorkommnisse wie das gestrige führten, hieß es, so recht vor Augen, wie notwendig es sei, prophylaktisch zu denken und zu handeln.
Fabian sah sich in dem kleinen Zimmer um. Die Möbel waren, wo sich dazu die Gelegenheit bot, verschnörkelt. Auf dem Vertikow standen drei Leitzordner. Auf dem Tisch
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