Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
ehrliche Abe, was?«, sagte er.
»Legen Sie das hin.«
Er sah sie gekränkt an. »Uns ist bekannt, dass Sie für die Bürgerrechte eintreten, Mrs. Zimmer.«
Es war typisch für einen solchen Abend, dass jede Bemerkung direkt zur Sache kam, gewollt oder ungewollt. Das war also das Verbrechen, das die Partei für Rose erfunden hatte: übertriebener Eifer für die Sache der Negerrechte. In den Dreißigern war sie das gewesen, was Kommunistenfresser später eine verfrühte Antifaschistin nennen sollten. Und jetzt? Pochte sie übersensibel auf Gleichmacherei.
»Ich hatte ein paar Sklaven«, sagte Rose. »Aber ich hab sie alle freigelassen.« Bestenfalls ein Seitenhieb in Richtung Sol Eaglin. Dem jungen Mann unter Garantie zu hoch.
Eaglin schaltete sich ein, schließlich war es von vornherein seine Aufgabe, sie zu »bearbeiten«. »Wo ist Miriam denn heute Abend?«, fragte er und tat so, als könnte die Kenntnis des Namens ihrer Tochter das Ungereimte seiner Rolle in Roses Leben abschwächen: weder Freund noch Feind, obwohl sie in der Dunkelheit unendlich oft die Formen des anderen ertastet hatten. Eaglin war einfach nur ein farbloser Funktionär, ein Erfüllungsgehilfe der Parteipolitik. Der heutige Abend war der endgültige Beweis, sofern sie noch Beweise brauchte. Man konnte einen Mann im eigenen Bett und im eigenen Körper beherbergen, auf seinem Nervensystem spielen wie Paderewski auf derTastatur, ohne sein Gehirn nur einen Zoll aus dem Beton des Dogmas herauszulösen.
Oder, was das anging, aus dem Beton der Polizeiarbeit.
Notabene hatte Rose beide Männer nicht von ihren Frauen trennen können.
Rose zuckte zur Antwort mit den Schultern. »In ihrem Alter geht es mich anscheinend nichts mehr an, wo sie ist.« Miriam, das Wunderkind, war fünfzehn. Hatte eine Klasse übersprungen, war im zweiten Jahr an der Highschool und praktisch eine Ausreißerin. Miriam lebte in den Häusern anderer Leute und im Speisesaal des Queens College und flirtete mit jüdischen und nicht-jüdischen Möchtegern-Intellektuellen, Jungen, die sich noch wenige Jahre zuvor auf Drehhockern in der Eisdiele oder in den Zügen der Hochbahn am Sack gekratzt und mit zusammengerollten Comic-Heften aufeinander eingedroschen hatten, Jungen, die schlagartig verstummten, ja zu zittern anfingen, wenn sie sich auf demselben Gehweg wie Rose Zimmer fanden.
»Füßelt mit Vetter Lenny?«
»Sol, das Einzige, was ich mit Gewissheit sagen kann, ist, dass sie ganz entschieden nicht mit Vetter Lenny unterwegs ist.« Das war Lenin Angrush, Roses Vetter zweiten Grades, der ihr, nebenbei bemerkt, den riesigen falschen Penny geschenkt hatte. Er gab sich als Numismatiker aus. Lenny, der sich von der fünfzehnjährigen Miriam auch nur die Uhrzeit sagen ließ? Da träumte der von.
»Verschwenden wir hier doch nicht unsere Zeit«, sagte der junge Mann, der an den Lincoln-Sachen herumgefummelt hatte. Rose sollte die brutale Autorität der Jugend nicht unterschätzen: Er hatte einige. Sol war nicht der einzige Machtfaktor im Raum, bloß weil er der einzige war, den Rose als Machtfaktor akzeptierte. Der junge Kerl wollte sich unbedingt hervortun, wahrscheinlich rivalisierte er mit den anderen Anwesenden um den Rang als Eaglins Günstling. Was nur der Auftakt war, Eaglin irgendwann hinterrücks zu erdolchen. Mit Sicherheit ging es darum.
Wirklich, der arme Sol. Immer noch bis zum Hals in der Jauche der Paranoia.
Rose schenkte der wackeren Kohorte, die gekommen war, um ihr zu verkünden, dass sie sich den falschen Neger ausgesucht hatte, Kaffee ein. Die Männer übernahmen das Reden; sie sollte eigentlich nur das Urteil über sich ergehen lassen. Abgesehen davon, dass man ihr die Parteizugehörigkeit kappte, würde sie auch das Privileg verlieren, bei Treffen mit Gewerkschaftsfunktionären als Protokollsekretärin zu agieren, und das galt auch für die Gewerkschaft an ihrem eigenen Arbeitsplatz, Real’s Radish & Pickle. Ihre letzte Aufgabe in der Partei wurde ihr genommen. Bei Real’s genoss Rose die Ehre, in entsetztem Schweigen zu dienen, während ihre tollpatschigen Genossen die Arbeiter einschüchterten, die im Alltag nebeneinander bis zu den Ellbogen in Fässern mit kalter Salzlake steckten und dabei Solidaritäten schmiedeten, die den weltfernen Posen der Agitatoren Schande machten, die in ihren schmucken Hosenträgern und faltenlosen Plaids aufmarschierten und zu wenig Ahnung hatten, um sich dieser Proletarierkostüme einer Halloween-Heuwagenfahrt zu
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