Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Roses Schwiegermutter wider Willen, hatte unmissverständlich klargestellt, dass sie ihn glänzend zurückzuerhalten wünschte – auch wenn man zurückkam und dann schon drei oder vier Raucher, Alberts Genossen, darauf warteten, ihre Asche abzustreifen. Wenn man sich vorstellte, dass sie bei der Flucht aus Lübeck den Aschenbecher im Fluchtgepäck untergebracht hatten! Alma hatte Prioritäten gesetzt. Wer weiß, wer das Gepäck geschleppt und wessen Gelenke der Aschenbecher und das in Seidenpapier verpackte Meißner Porzellan belastet hatten? Bestimmt nicht Almas.Gepäckträger, sagte sich Rose, und wenn es keine Gepäckträger gab, Almas Bruder Lukas oder Almas Sohn Albert. Albert Zimmer. Roses späterer Ehemann, ein reicher Jude, der sich noch für einen Deutschen hielt, als bereits die Nazis aufmarschierten.
Und wer wusste schon, was für andere Schätze zugunsten dieser Gegenstände zurückgelassen worden waren? Der Aschenbecher, ein Andenken an den Bankschreibtisch von Almas verstorbenem Gatten, war ein Klotz deutscher Wirklichkeit und den absurdesten Hindernissen zum Trotz importiert worden, um die Unwirklichkeit von Almas neuen Lebensumständen zu beweisen. Die da hießen: Broadway Ecke 92nd, die Knickerbocker Apartments. Eine Zweizimmerwohnung auf dieser Insel Manhattan, sichtlich möbliert mit allem, was außer dem Aschenbecher hatte gerettet werden können, dem halben Porzellanservice, einigen wenigen gerahmten Fotografien (die Alma neben Kusinen an Urlaubsorten in den Alpen zeigten und für Roses Blick ohne weiteres auch Nazi-Souvenire hätten sein können), Wiener Spitzengardinen. Eine Wohnung, die weniger ein Heim war als die Gedenkstätte eines verlorenen Lebens. Zwei Fenster mit Blick auf den Verkehr am Broadway ersetzten ein Haus, das in Lübecks Nobelviertel so weit oben lag, dass sich das Panorama sowohl der Trave als auch der Hügel vor einem erstreckte, und nebenan lag nichts geringeres als das Familienhaus von Lübecks berühmtem Spross Thomas Mann, das Buddenbrookhaus. Alma und ihr Bankier hatten über die rückwärtigen Veranden hinweg des Öfteren mit dem Autor Konversation gemacht, wenn der zu Besuch gekommen war. Ein anderes Leben. Vor dem Exil. Alma, ehedem eine Opernsängerin auf Lübecks größten Bühnen. Alma, die Blume von Lübeck. (Rose hatte ihr gerüttelt Maß an diesem Wort, diesem heiligen Namen Lübeck bekommen.) Deutscher als deutsch und kaum jüdisch, bis die verdorbenen Söhne Bayerns das Land in Stücke gerissen hatten. All das wusste der Aschenbecher, wahrscheinlich bis hin zu den genauen Summen, die Alma bezahlt hatte, um sich, ihrem Bruder Lukas und ihrem Sohn Albert die Flucht nach New York zu erkaufen, in jener letzten Minute, nachdem der heraufziehende Alptraum schonden Herzinfarkt des Bankiers herbeigeführt und Almas und Alberts Verdrängung durchstoßen hatte: Juden, keine Deutschen. Alma hatte alles verkaufen müssen, und vielleicht war es schieres Glück gewesen, dass sie wenigstens den Aschenbecher hatte behalten können.
Es war im »Salon« in den Knickerbockers gewesen, eigentlich dem einzigen öffentlichen Raum, wo sich Rose beim Teetrinken von Almas Verachtung hatte demütigen lassen, damit sie widerwillig der Eheschließung zustimmte. Albert war ja so ein Muttersöhnchen. Im selben Raum hatte Rose dann auch gelernt, bei ernsthaften kommunistischen Versammlungen die Stimme zu erheben, mit den Männern zu rauchen und zu diskutieren, während Alma, in ihrem Aristokratendeutsch abgeriegelt und unwillens oder außerstande, Englisch zu lernen, bei den Treffen ihrer Zelle erfreulicherweise auf die Rolle der Gastgeberin reduziert worden war. Und dort hatte im Frühjahr ’47 auch Roses erster Wohnzimmerprozess stattgefunden, der, der wichtig gewesen war und alles verändert hatte. Das Treffen, bei dem das unfähige Klatschmaul Albert mit dem klassischen Irrwitz, auf den sich die Partei so gut verstand, fälschlich der Spionage verdächtigt und dann zum Spion gemacht worden war. Der Prozess, in dem die Partei Alberts Flucht vor Familie, Frau und siebenjähriger Tochter Vorschub leistete.
Wo war Miriam? Nebenan. Die Tochter, die Albert zurückließ, war die ganze Zeit in Almas Schlafzimmer. Sie erduldete den Prozess, wie sie frühere Treffen erduldet hatte, und verschlang die aus ihrer Folie ausgewickelten Mozartkugeln, mit denen Alma die Enkeltochter immer versorgte, mit der sie zwar kein englisches Gespräch führen, die sie aber angurren konnte, was das
Weitere Kostenlose Bücher