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Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)

Titel: Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Lethem
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schämen.
    Es verstand sich von selbst, dass sich die Männer in ihrer Wohnung zum Teufel scheren konnten.
    Roses übliche Wut entsprach jedoch nicht ganz dem Anlass. Die moralischen Banditen in ihrer Küche, selbst Eaglin, erschienen ihr wie in weiter Ferne, hatten gedämpfte Stimmen. Die Ereignisse im Raum spulten sich wie nach einem Drehbuch vor ihr ab, einer anderen widerfuhr hier etwas, nicht ihr. In Roses Küche wurde ein Einakter inszeniert, der der sozialistischen Theatertruppe von Sunnyside würdig gewesen wäre und in dem ihr Körper auftrat – bestimmte Verhaltensweisen ihres Körpers standen ja zur Debatte –, sonst aber nichts. Falls in ihrer Brust noch ein Herz klopfte, war es jetzt nicht zugegen. Rose wohnt hier nicht mehr. Eine Exkommunikation, die schon vor langer Zeit abgeschlossen worden war. Sie wärmte Kaffee auf und schenkte nach, gestattete ihrem Lynchmob, das Meißner Porzellan ihrer Schwiegermutter zu benutzen, wobei sie mit Ausdrücken, die gerade verhülltgenug waren, dass die Scham nur Rose übermannte, nicht aber die Männer, auf ihr Sexleben anspielten. Erdreisteten sich, ihr zu sagen, wen sie zu ficken hatte. Genau genommen, wen sie nicht zu ficken hatte. Dass sie gar nicht mehr zu ficken hatte. Dass Rose keine Schlafzimmersolidarität mit Männern zu begründen hatte, die im Gegensatz zu ihnen die Statur und die Selbstbeherrschung hatten, Rose zu wollen und ihr respektlos entgegenzutreten.
    Denn die Besatzer ihrer Küche zeigten selbst beim Vollzug des Auftrags ihres Henkers einen erbärmlichen Respekt: vor Roses Kraft, ihrer Geschichte und ihrer Brust, die doppelt so ausladend war wie ihre. Sie, die am Protestmarsch auf der Fifth Avenue gegen Hitlers New Yorker Geburtstagsparty teilgenommen hatte und von amerikanischen Braunhemden mit verfaultem Gemüse beworfen worden war. Sie, die für die Schwarzen demonstriert hatte, praktisch bevor die selber demonstriert hatten. Den Negern die Revolution zu bringen, na gut. Einen bestimmten schwarzen Cop zwischen den eigenen Laken zu haben, nicht so gut. Oh diese Heuchler! Ihre unaufhörliche, schönfärberisch durch den Wortnebel geleierte Verwendung des Begriffs »Umgang«. Sie machten sich Sorgen wegen ihres Umgangs. Dabei meinten sie natürlich den Umgang ihrer rasant alternden jüdisch-kommunistischen Vagina mit dem prallen und liebevollen Penis des schwarzen Lieutenants.
    Und doch nahm Rose Bestellungen entgegen wie eine verrückte Kellnerin nach der Lobotomie: Milch oder Sahne dazu? Mit Zucker? Ach, Sie mögen ihn lieber schwarz? Ich auch. Aber sie biss sich auf die Zunge und ließ den Witz nicht raus. Als Protokollsekretärin protokollierte sie. Stenographierte ihr eigenes Tribunal wie eine Unbeteiligte auf dem Notizblock eines distanzierten Verstands. Stenographie, eine geistige Stenographie, bei der die Finger über eine Seite fuhren, die der Verstand selbst kaum wahrnahm. Hier war Rose Zimmer, geborene Angrush, die Geißel von Sunnyside, die sich wie eine Boxerin gegen die nachgiebigen Schatten in ihrer Küche zur Wehr setzen sollte, diese grausigen Totengeister der Doktrin, und ihr war alles egal. Dieser zweite Prozess war eigentlich nur eine lausige Parodie des ersten.Der erste, der war noch was gewesen! Damals war Rose im amerikanischen Kommunismus noch wichtig. Damals führte sie eine wichtige Kommunistenehe und stand vor einer wichtigen Kommunistenscheidung. Damals war sie jung gewesen. Das war sie nicht mehr.
    Jetzt kratzte der geistige Stift nicht mehr über den geistigen Notizblock. Rose grenzte sich innerlich noch weiter von den Ereignissen ab, deren Zeugin sie gerade wurde und die ihr ganzes bisheriges Leben über den Haufen werfen würden. »Eaglin?«, sagte sie und unterbrach eine leiernde Unterstellung.
    »Ja, Rose?«
    »Komm mal mit raus.«
    Eaglin bezwang die unruhigen Blicke mit der Augenbraue, die er nutzte wie ein Dirigent seinen Stab, um das Instrumentestimmen der Musiker zu beenden. Und dann traten er und Rose, den Aschenbecher in den Händen, hinaus in die Frischluft der Gardens.
    —
    Der Aschenbecher war ein reiner Fetisch: abgeplatteter, schwarzer, glattpolierter Granit, schwer genug, um als Stopper einer Tür mit Druckscharnieren zum Einsatz zu kommen oder um einem Mann den Schädel zu verbeulen. Wenn er wieder einmal mit Pall-Mall-Stummeln voll war, schleppte man ihn mit beiden Händen in die Küche und leerte ihn in Alma Zimmers Mülleimer aus. Dann spülte man ihn unter dem Wasserhahn aus, denn Alma,

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