Der gefährliche Drache
Mädchen zu umgarnen.«
»Mir gefällt es, umgarnt zu werden«, sagte Mirabel sorglos.
»Nicht wenn du dabei auf der Nase landest«, sagte Edmond sehr ernst. »Er wird dich benutzen und dich dann fallen lassen.«
»Du sprichst von seiner Vergangenheit. Ich weiß aber, dass er sich geändert hat.«
»Hat er dir das gesagt?« Edmond ließ ein verbittertes Stöhnen vernehmen. »Das ist doch die älteste Masche der Welt.«
»Dieses Mal meint er es ernst.«
»Du machst dir etwas vor. Bitte, Janet …«
»Ich bin nicht Janet«, sagte sie scharf, »ich bin Mirabel.«
»Du heißt Janet Watkins. Du bist in Nottingham geboren und aufgewachsen, und wenn der Sommer vorbei ist, gehst du dorthin zurück, weil es dein Zuhause ist, weil du dort hingehörst. Mirabel ist eine Rolle, die du spielst.«
»Weißt du, was dein Problem ist, Edmond?«, sagte Mirabel, und ihre Stimme erhob sich. »Du bist langweilig. Wir sind am romantischsten Ort der Welt, und du benimmst dich, als wäre es einfach nur ein Job wie jeder andere. Schau dich an, in deiner Jeans und deinem langweiligen Hemd. Du bist gewöhnlich. Du hast keine Fantasie. Du hast nicht einen Funken Poesie in deiner Seele. Du würdest mich nie über die Schulter werfen und mich in dein Schloss tragen. Allenfalls würdest du mich auffordern, in deiner Schubkarre Platz zu nehmen, und mich dann zu deinem Bungalow karren. Würdest du jetzt bitte deiner Arbeit nachgehen und aufhören, mir wie ein bemitleidenswerter Welpe hinterherzulaufen? Ich kann sehr wohl selbst auf mich aufpassen.«
Ich hörte ein Rauschen, als Mirabel ihre Röcke raffte, und drehte mich rasch zum nächstgelegenen Stand um. Während ich so tat, als würde ich eine Sammlung grotesker Wasserspeier betrachten, stürmte Mirabel an mir vorbei, um sich zu den anderen Madrigalsängerinnen zu gesellen, die vor den bronzenen Drachen standen. Einige aus der Gruppe machten Anstalten, sie zu trösten, doch die größte unter ihnen rief die Mädchen schnell zur Ordnung. Einen Moment später war die Gasse erfüllt von der Harmonie ihres exquisiten Gesangs.
Ich wollte gerade nachsehen, ob sich Edmond noch immer zwischen den beiden Buden aufhielt, als er in dem Durchgang auftauchte und einen hoffnungslosen Blick in Mirabels Richtung warf. Sie setzte einen Ton aus, blitzte ihn wütend an, um dann mit wütender Inbrunst weiterzusingen; diesmal legte ihr das größte Mädchen selbst eine Hand auf die Schulter, um sie zu beruhigen. Edmond beugte den Kopf und spannte den Kiefer an, als hätte er Schmerzen, ehe er auf dem Absatz kehrtmachte und geräuschlos zwischen den zwei Buden verschwand.
Ich folgte ihm. Wenn er vor diesem Streit mit Mirabel verzweifelt genug gewesen war, die Krone des Königs zu stehlen und sich an der Kanone zu schaffen zu machen, dann wollte ich mir gar nicht ausmalen, wozu er jetzt imstande sein würde. Entweder würde er sich an einen ungestörten Zufluchtsort zurückziehen, um seine Wunden zu lecken, oder wie ein verletzter Stier durchdrehen. Was immer er auch tun würde, wollte ich in der Nähe sein und es bezeugen.
Tante Dimity hatte mich ermahnt, mich nicht in Gefahr zu bringen, und ich war fest entschlossen, ihren Rat zu beherzigen. Edmond war ein strammer junger Bursche, während ich durch meine Röcke behindert wurde. Außerdem fürchtete ich, dass mein Mieder bei größerer Anstrengung bersten könnte. Ich hatte also nicht vor, mich ihm in den Weg zu stellen, sollte er beschließen, den König offen anzugreifen, noch würde ich mich auf ihn stürzen und ihn zu Boden ringen, um ihn an einem weiteren Sabotageakt zu hindern. Allerdings war ich durchaus bereit, einen Warnschrei auszustoßen, um einen physischen Angriff abzuwehren, oder auf andere Weise mein Bestes zu tun, um sein Vorhaben zu vereiteln.
Edmond schien zu sehr in sein Elend versunken zu sein, um die Frau zu bemerken, die hinter ihm von Bude zu Bude huschte. Was mich nicht weiter überraschte. Mirabel hatte ihn nicht nur zurückgewiesen, sie hatte seine guten Absichten mit Füßen getreten. Ihre letzten Sätze waren so vernichtend gewesen, dass jeder Mann, der so etwas zu hören bekam, am Boden zerstört sein musste. Wäre ich mir nicht so sicher gewesen, in Edmond den Hauptverdächtigen für den Anschlag auf den König gefunden zu haben, hätte er mir schrecklich leidgetan.
Der dunkelhaarige junge Handwerker ging mit gesenktem Kopf und dennoch zielstrebig weiter. Keine Sekunde hielt er inne, um seine Route zu überprüfen, oder um
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