Der Geist des Highlanders
schon.«
»Du bereitest mir keine Sorgen, eher deine Schauspieler. Vor allem dieser Felonius.«
»Fellini«, korrigierte Victoria ihn. »Michael Fellini. Du brauchst dir keine Gedanken zu machen; er ist ein Profi.«
»Er ist arrogant«, erwiderte ihr Vater.
»Ich finde ihn hinreißend«, konterte ihre Mutter.
Er ist perfekt, fügte Victoria im Stillen hinzu, aber sie hatte nicht die Absicht, dieses Thema mit den anderen am Tisch zu erläutern.
»Die Besetzung ist in Ordnung«, sagte sie laut. »Wir proben ja schon seit zwei Monaten. Außerdem benehmen sie sich alle tadellos, schließlich ist es für die meisten die Chance ihres Lebens. Wann werden sie noch einmal Gelegenheit dazu bekommen, Shakespeare in einem echten Schloss aufzuführen?«
»Hm«, sagte John skeptisch. »Ich hoffe, du hast eine gute zweite Besetzung. Hat Thomas dir dafür genug Geld gegeben ?«
»Ja, Thomas hat mich mehr als gut versorgt«, versicherte Victoria ihm.
Und das stimmte. Ihr Bruder war unglaublich großzügig gewesen, er hatte Unterkunft, Essen, Transport und Gehälter für die gesamte >Hamlet<-Produktion auf der Insel bezahlt. Sie wusste zwar immer noch nicht genau, warum, aber sie war sich von Anfang an darüber im Klaren gewesen, dass sie einem geschenkten Gaul nicht ins Maul schauen würde.
Allerdings hielt sie das nicht davon ab, die Angelegenheit mit dem einen oder anderen misstrauischen Blick zu bedenken. Aber damit wartete sie lieber, bis er schlief.
Michael Fellinis Gage hatte sie mit der Summe, die ihr Thomas gegeben hatte, natürlich nicht vollständig bezahlen können; dafür hatte sie auf ihre Ersparnisse zurückgegriffen. Eine Geschichte mehr, über die sie lieber nicht mit ihren Eltern oder ihrem Bruder redete.
Aber sie konnte in Ruhe darüber nachdenken, sobald sie endlich wieder alleine war. Hoffentlich fand sich bald eine Gelegenheit, vom Tisch aufzustehen.
Jetzt war wahrscheinlich ein günstiger Zeitpunkt. Victoria lächelte in die Runde.
»Ich bin ein bisschen müde und denke, ich ziehe mich in mein Zimmer zurück. Danke für das Essen, Iolanthe.«
»Und was ist mit mir?«, fragte Thomas. »Bei mir bedankst du dich nicht?«
»Du kannst froh sein, dass ich dir nicht die Gabel zwischen die Augen ramme.«
Thomas lachte nur.
Victoria stellte ihren Teller in die Spüle, dann floh sie die Treppe hinauf, bevor sie ihrem grinsenden Bruder etwas an den Kopf warf, das sie später bereuen würde.
Sie schloss sich in ihrem Zimmer ein und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Eigentlich hätte sie Bewegung an der frischen Luft gebraucht, sie ertrug es nicht, hier zu sitzen und darauf zu warten, dass ihr Urlaub vorbei wäre.
Während sie im Zimmer hin und her lief, ging sie im Geiste die Liste der Dinge durch, die sie bereits erledigt hatte und die noch ausstanden. Es war keine Kleinigkeit, das Stück in einem anderen Land aufzuführen. Wenn sie länger darüber nachgedacht hätte, hätte sie sich selbst wahrscheinlich für verrückt erklärt, aber Victoria stellte ihre Handlungen nie in Frage. Sie wusste einfach, dass sie es schaffen würde.
Ihr Selbstbewusstsein im Hinblick auf ihr Können hatte seinen Preis gehabt. Sie hatte es sich hart erarbeitet. Sie leitete ein nicht unbedeutendes Theater, setzte sich mit begabten, schwierigen Künstlern auseinander und schuf Aufführungen, die an Qualität denen am Broadway in nichts nachstanden.
Dabei spielte es keine Rolle, dass der Broadway für sie in unerreichbarer Ferne lag. Es spielte keine Rolle, dass sich ihre Bühne über einem esoterischen Teeladen befand. Und es spielte auch keine Rolle, dass sie ihre Requisiten in einem Keller neben den Kräuterteefässern aufbewahren musste, sodass ihre Kostüme immer ein wenig nach Reformhaus rochen. Die Leute konnten ins Theater kommen und sich in der Pause mit einem Kamillentee erfrischen. Es war eine großartige Atmosphäre, und sie war dankbar dafür.
Und jetzt würde sie also in England gastieren, mit einem richtigen, echten Schloss als Kulisse. Konnte es noch besser werden?
Nun ja, schon, wenn Michael Fellini sie als Frau genauso interessant fände wie als Regisseurin, zum Beispiel.
Da sie jedoch darauf erst Einfluss nehmen konnte, wenn sie mit ihm in England alleine war, wandte sie sich in Gedanken dem zu, was sie jetzt schon kontrollieren konnte. Sie blickte sich um. Ihre Koffer waren leider schon gepackt, ihr Bett war gemacht, und die achthundertseitige Abhandlung über die Politik von Elisabeth I. war auch schon
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