Der Geisterfahrer
Baum eingewurzelt hat. Der Dachdecker sieht auch, dass der Baum noch mehr Äpfel trägt, er greift nach einem, der etwas tiefer hängt, verfehlt ihn und rutscht aus, kann sich gerade noch am Stamm festhalten, der dadurch erschüttert wird, sodass von allen Zweigen die Äpfel fallen, und jeder Apfel, der auf das Dach schlägt, bricht ein Loch in die Ziegel und verschwindet im Estrich. Der Dachdecker ist erschrocken, er hat mit einem Arm den Baumstamm umschlungen, kauert auf dem Dachfirst und schaut um sich – das ganze Dach ist nun durchlöchert, und er ist schuld daran. Er überlegt sich, was zu tun sei, und kommt zur Ansicht, dass er den Vorfall dem Besitzer des Hauses melden müsse, dass er sich aber zuerst einen der Äpfel beschaffen wolle, um zu sehen, weshalb sie die Kraft hatten, Ziegel zu durchschlagen. Wie er aber zur Luke hinuntersteigen will, kommt ihm das Dach so steil vor, wie ihm noch nie ein Dach vorgekommen ist, er sieht sein Seil von der Luke an abwärts hängen und merkt, wie er am ganzen Leibe zittert.
Er schlingt beide Arme um den Baum, schläft in dieser Stellung ein und träumt, er sei Dachdecker.
Am Abend streckt der zweite Dachdecker seinen Kopf durch dieselbe Luke, aus der der erste am Morgen ausgestiegen ist. Er findet das Seil des ersten Dachdeckers an der Innenseite der Luke befestigt, schaut dem Seil nach und sieht, dass das Ende davon lose in der Nähe der Dachrinne liegt. Er vergewissert sich, dass das Seil gut festgemacht ist, steigt dann aufs Dach und geht, sich am Seil haltend, bis zur Dachrinne hinunter, lehnt sich etwas darüber hinaus und schaut nach unten, aber er sieht nirgends einen zerschlagenen Körper am Boden liegen. Er entdeckt die schadhafte Stelle, zieht sich vorsichtig am Seil bis zu ihr hoch und schaut durch das Loch in den Estrich. Was er jetzt sieht, hat er noch nie gesehen. Sein Herz beginnt schneller zu schlagen, er verspürt einen Druck im Kopf, seine Wangen röten sich, und er merkt, wie sein Glied anschwillt. Er kann nicht wegschauen, ja er will sich selbst auch hinunterbegeben, aber wie er durch das Loch steigen will, merkt er, dass es gar kein Loch ist, sondern dass es genauso mit Ziegeln bedeckt ist wie das übrige Dach, mit dem Unterschied, dass in der Mitte eines Ziegels jeweils ein kleines Stück aus Glas ist, und in diesem Glas ist ein Auge eingelassen, das zu ihm hinaufschaut. Jetzt merkt er auch, dass er seine Hose verloren hat und nur im Hemd dasteht, nicht einmal Unterkleider hat er an. Er will sein Hemd zwischen den Beinen durchziehen, aber es ist zu kurz dazu, er bedeckt sein Glied, das sofort wieder schlaff wird, mit der linken Hand. So rasch wie möglich
will er nun wieder zur Luke zurück, erst jetzt fällt ihm auf, dass fast in jedem Ziegel ein Auge eingelassen ist, er schaut sich dauernd um, ob er seine Hose irgendwo sieht, kann sie jedoch nicht ausfindig machen. Als er zurück zur Luke kommt, sieht er, dass das Seil, an dem er sich hielt, an einer Kerze befestigt war, die sehr schnell hinuntergebrannt ist und jetzt, wo er sich am Lukenrand hält, den Punkt erreicht hat, wo das Seil um sie geschlungen war, das Wachs schmilzt, und das Seil fällt in die Tiefe. Hinter der Kerze sind die fragenden Gesichter des Hausbesitzers und seiner Frau zu sehen, die bei seinem Erscheinen die Hände vors Gesicht schlagen. Ächzend vor Wut springt der Dachdecker in langen und gefährlichen Sätzen zum Hauptkamin hinüber, um sich den Blicken der beiden zu entziehen. Er ist nicht sonderlich überrascht, auf der Hinterseite des Kamins einen kleinen Teich zu finden, auf dem Mandarinenten lautlos herumschwimmen, und einen Fischer, der am andern Ufer steht und seine Angel nach koffergroßen Goldfischen ausgeworfen hat, die man in der Tiefe schimmern sieht. Er zieht sich sein Hemd aus und wickelt es sich als Lendenschurz um die Hüften, während ihm der Fischer freundlich zunickt und herüberruft: »Heute abend!« Dann schläft er ein, am Fuße einer Weide, und träumt, er sei ein Dachdecker, der einen andern Dachdecker suche.
Der Meister, dessen Kopf erst nach Einfall der Dämmerung aus der Luke auftaucht, ist überrascht von der Helligkeit, die hier oben noch herrscht, und löscht seine Taschenlampe wieder aus. Er sieht vor sich einen kleinen,
ausgetretenen Weg, der zu einem Kiosk führt. Er zögert zunächst und denkt dann, warum soll sich hier kein Kiosk befinden, steigt auf das Dach und geht auf dem Weg, welcher mit feinen Glassplittern bedeckt ist,
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