Der Geisterfahrer
empfahl dringend, den Wünschen des Kindes nachzugeben, da es wichtiger sei, dass das Kind esse, als dass die Eltern möglichst
sorglos lebten, und ein Kinderpsychologe, mit dem der Vater bekannt war, konnte auch nicht helfen, sprach von einer etwas verfrühten Trotzphase und machte vage Hoffnungen, dass sie vorübergehend sei.
Dafür gab es aber noch keine Anzeichen, denn als das Kind das nächste Mal essen sollte, rannte es zum Fenster und war nicht mehr davon wegzubringen. Der Vater wies das Kind auf die Mutter hin, die ordnungsgemäß im Nachthemd auf dem Schrank lag, deutete auf seinen Hut und wollte ihm das Essen über das Gatter geben, aber das Kind schüttelte sich am ganzen Körper und griff mit beiden Händen nach dem Fenstersims. Der Vater wollte es zwar nicht wahrhaben, aber er wusste, was das bedeutete. Das Zimmer lag im ersten Stock, er holte also eine Leiter im Keller, stellte sie außen an das Haus, stieg darauf zum Kinderzimmer hoch und reichte dem Kind den Brei durch das offene Fenster. Das Kind strahlte und aß alles auf.
Am folgenden Tag regnete es, und der Vater erstieg die Leiter zum Kinderzimmer mit einem Regenschirm. Von nun an musste er immer mit dem Regenschirm ans Fenster kommen, unabhängig vom Wetter, sonst wurde der Brei nicht gegessen.
Inzwischen hatten die Eltern, um sich etwas zu entlasten, ein Dienstmädchen genommen. Das Kind jedoch lehnte dieses gänzlich ab und wollte sich nur von der Mutter betreuen lassen. Auch die Hoffnung, das Dienstmädchen könne sich im Nachthemd der Mutter auf den Schrank legen, erwies sich als falsch, das Kind verfiel fast in Tobsucht ob des plumpen Täuschungsversuches. Als
aber das Dienstmädchen das Zimmer verlassen wollte, war es auch wieder nicht recht. Es musste am Gatter stehenbleiben und ebenfalls zusehen, wie das Kind aß, und auch das reichte noch nicht. Es aß erst, wenn das Dienstmädchen bei jedem Löffel, den es schluckte, einmal eine Rasselbüchse schüttelte.
Das, hätte man annehmen können, war nun fast das Äußerste, aber jetzt fing das Kind an, den Vater wegzustoßen, wenn er sich über den Sims lehnte, und auch den Teller mit dem Brei hinunterzuwerfen, den der Vater jeweils aufs Fensterbrett stellte. Dem Vater fiel nichts anderes mehr ein als sich eine sehr hohe Bockleiter zu kaufen. Die stellte er in einiger Entfernung von der Hausmauer auf, stieg dann hoch und verabreichte dem Kind den Brei mit einem Löffel, den er an einem Bambusrohr befestigt hatte. Um mit diesem Löffel in den Brei eintauchen zu können, musste er den linken Arm mit dem Teller ganz ausstrecken, konnte also den Brei nicht auf der Leiter abstellen. Da er aber nicht ohne Schirm auftreten durfte und ihn nicht wie bisher in der Hand halten konnte, hatte er sich ein Drahtgestell angefertigt, das er auf die Schultern nehmen konnte und in welches der Schirm eingesteckt wurde, sodass er ihn etwa in derselben Höhe über sich trug, wie wenn er ihn in der Hand gehabt hätte.
Ein Nachbar, der zu diesem Zeitpunkt seinen Feldstecher auf das Haus gerichtet hat, sieht also folgendes:
Der Vater reicht dem Kind den Brei in einem an einer Bambusstange befestigten Löffel von einer Bockleiter außerhalb des ersten Stockes durchs Fenster. Dazu trägt er einen Hut und einen Regenschirm, den er an einem Drahtgestell
über den Schultern festgemacht hat. Die Mutter liegt im Nachthemd auf dem Schrank, und das Dienstmädchen steht vor dem Gatter, das im Türrahmen eingeklemmt ist. Beide schauen zu, wie das Kind isst, und das Dienstmädchen schüttelt zusätzlich bei jedem Löffel, den das Kind schluckt, eine Rasselbüchse.
Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, und nur dann, dann isst das Kind.
Das Dach
S chon seit längerer Zeit beschäftigt mich die Vorstellung eines Daches.
Dieses Dach würde eine Villa bedecken, die gegen Ende des letzten Jahrhunderts erbaut worden wäre, im Stil eines schottischen Schlosses, mit granitenen Mauersteinen und gotischen Fenstern. Da das Dach ebenso alt wäre wie die Villa selbst, müsste es gelegentlich ausgebessert werden, und man müsste zu diesem Zweck einen Dachdecker hinaufschicken.
Dieser Dachdecker aber, und hier nähme die Geschichte eine Wendung ins Unheimliche, dieser Dachdecker käme nicht mehr zurück. Man würde ihn suchen, noch am selben Abend wahrscheinlich, aber ohne Erfolg. Es wäre sogar so, dass der zweite Dachdecker, der das Dach bestiege, ebenfalls nicht mehr zurückkäme, und wenn am Schluss der Meister selber
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