Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
Vom Netzwerk:
nickte dann. »Das ist er, du hattest doch recht.
Ich habe ihn in all dem Dreck überhaupt nicht erkannt. Der Typ ist hinter dem
alten Cavanagh hergelaufen und sah aus wie einer dieser Privatschüler, denen
irgendwann einmal die ganze Welt gehört.« Er dachte einen kurzen Moment nach,
bevor er die naheliegende Frage stellte. »Was macht so einer denn hier bei
uns?«
    Der Maat zog wieder an seiner Zigarette. »Uns ausspionieren. Oder
von Papa weglaufen, weil er auf das große Abenteuer hofft. Du weißt doch …
Hamburg und die Reeperbahn!« Sie brachen in Gelächter aus. »Das wird es wohl
sein. Sollen wir dem Kapitän melden, welch kostbare Fracht er da an Bord
genommen hat? Was meinst du?«
    Unwillkürlich riss John die Augen auf und schüttelte den Kopf. Ein
Fehler, wie ihm im selben Moment klar wurde. Damit hatte er seine Identität
preisgegeben. Der Maat trat einen Schritt näher und packte John mit dreckiger
Pranke an seinem mit Kohlestaub verschmierten Kragen.
    Â»Der Kapitän soll also nichts erfahren, richtig? Ich hab zwar keine
Ahnung, warum, aber auf keinen Fall soll er mitkriegen, wen wir da unter uns
haben? Du würdest nie zu ihm laufen und ihm sagen, was du für uns tun musst …«
Die beiden Männer sahen sich an und brachen in derbes Gelächter aus.
    Ohne Vorwarnung holte McTaggart mit einem Bein aus und trat John in
die Kniekehle. Die Stiefel waren aus schwerem Leder mit kräftigen Stahlkappen.
Der Schmerz fuhr wie ein Blitz durch Johns Bein, er ging in die Knie. Sofort
landete die gleiche Stiefelspitze in seiner Magengrube. John schnappte nach
Luft. »Was soll …«, wollte er noch protestieren, als ein Faustschlag seine
Lippe platzen ließ. Er krümmte sich am Boden zusammen wie ein Neugeborenes,
aber nichts konnte ihn vor den Schlägen und der Wut der beiden Matrosen
schützen. Sie hatten ihre Chance, sich an dem Reeder zu rächen, und sie taten
es. Gründlich. Wen interessierte es da, dass sie nicht George Cavanagh
erwischten, sondern nur seinen Sohn? Irgendwann verlor John das Bewusstsein,
gnädige Dunkelheit senkte sich über ihn. Er bemerkte weder, dass die beiden von
ihm abließen, noch hörte er ihr höhnisches Gelächter.
    Als er wieder zu sich kam, zeigte sich am Horizont schon die erste
Dämmerung. John öffnete stöhnend seine zugeschwollenen Augen und bewegte
vorsichtig das eine Bein, dann das andere. Es schien nichts gebrochen zu sein.
Langsam setzte er sich auf. Es gab keinen Quadratzentimeter seines Körpers, der
nicht heftig schmerzte. Auf seinem Hemd zeichneten sich Blutflecken ab. Er war
froh, dass er die Haut darunter nicht sehen musste – es fühlte sich an, als ob
das rohe Fleisch direkt unter dem Stoff läge. Unendlich langsam erhob er sich
und stützte sich auf die Reling. Immerhin hatten die beiden Männer ihn nicht über
Bord geworfen. Obwohl ihn das vielleicht vor viel Schmerzen bewahrt hätte. John
zog eine Grimasse. Diese paar Wochen würde er schon durchstehen. Und in Hamburg
würde sowieso alles anders werden. Er nahm einen tiefen Atemzug der frischen
Luft, ließ seinen Blick noch einmal über den fernen Horizont streifen und
drehte sich dann um.
    Als er die leicht quietschende Tür aufschob, zögerte er einen
Moment. Da unten wartete die Hölle mit McTaggart und dem Maat als Teufel und
Beelzebub auf ihn. Aber an eine Flucht war auf so einem Schiff nicht zu denken.
Es blieb ihm keine Wahl, das musste er aushalten. Als die Tür hinter ihm
zufiel, klang es in seinen Ohren wie die Tür eines Kerkers.
    Â 
    Â»Na los, du
Muttersöhnchen, beweg dich!«
    Im Halbdunkel des Mannschaftsraumes
beugte sich der dunkelhaarige Maat mit seinem schlechten Atem über John. Um den
Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen, rammte er ihm auch noch ein Knie in
die Seite. Überflüssig, denn John saß längst auf der Kante seiner schmalen
Pritsche und erhob sich. Mit einem Griff nahm er sein Hemd, das schon lange
nicht mehr weiß war, zog es sich über den Kopf – mit den Knöpfen vertat man nur
wertvolle Zeit – und verließ, so schnell es ging, die Mannschaftskabine. Nicht
schnell genug für den Mann, der ihn geweckt hatte. Der hatte einen Wischmopp
mit langem Stiel in der Hand und schlug John damit immer wieder gegen die
Beine. Er machte sich einen Spaß daraus, so oft und so hart wie möglich zu
treffen. John

Weitere Kostenlose Bücher