Der Gesang der Maori
aber der
reagierte nicht mehr. »Vater!« Ewan wurde lauter. John warf einen Blick auf den
Herzmonitor. Jetzt war es deutlich zu sehen: Die Linie wurde unregelmäÃiger.
Flatternd öffneten sich die Augen des Alten noch einmal. Seine
bleiche, magere Hand legte sich auf Ewans Arm. »Ruiha war ein gutes Mädchen!
Wollte nichts von mir wissen, aber war ein gutes Mädchen!«, murmelte er. Dann
schlossen sich die Augen wieder, und der Atem wurde flacher.
Eine Krankenschwester kam mit schnellem Schritt herein, überprüfte
den Monitor und wandte sich dann mit einem entschuldigenden Schulterzucken an
die beiden Männer, die an dem Bett des Alten standen. »Es geht zu Ende. Sie
sollten sich verabschieden. Oder, wenn es noch irgendwelche Angehörigen gibt,
die Sie verständigen wol-len â¦Â«
»Nein«, erklärte John. »Dieser Mann hat sein Leben lang allein
gelebt und andere Menschen immer nur benutzt. Das sollte sich auch zu seinem
Ende nicht ändern.«
Die Schwester nickte nur. »Wie Sie meinen.« Damit verschwand sie
wieder aus dem Zimmer. Zurück blieben das leise Piepen des Monitors, der
rasselnde Atem des Sterbenden und die beiden Söhne, die schweigend zusahen, wie
die Linie immer flacher wurde.
Und schlieÃlich endete.
John hob seinen Blick und sah das Bild einer gewaltigen Walfluke an
der Wand. Und es kam ihm so vor, als ob er leise Paikeas Lied hörte. Ein Lied
vom Meer, den Wellen und dem Frieden.
EPILOG
CHRISTCHURCH, 1999
22.
Sehr geehrte Chefredaktion,
anbei mein Artikel über die
Dreharbeiten von »Der Herr der Ringe«. Sie werden sehen, dass ich Zugang zu
vielen Informationen und Drehorten hatte, die Journalisten normalerweise
verwehrt sind. Ich habe mich bemüht, ganz besonders die Verbindung zwischen der
sagenhaften Natur Neuseelands und der Fantasy-Saga Tolkiens herzustellen. Ich
denke, das ist mir gelungen.
Vielen Dank für das Verständnis für meinen verlängerten Aufenthalt
hier in Neuseeland â und die Genehmigung für den anschlieÃenden Urlaub. Leider
muss ich Ihnen mitteilen, dass ich nicht mehr an meine Arbeitsstelle
zurückkehren werde. Meine Bestimmung ist es wohl, hier in Neuseeland zu bleiben
und hier mein Glück zu finden. Das Leben einer Redakteurin mit Stress und
groÃer Belastung ist doch nicht das Leben, das bei mir zur Zufriedenheit führt.
Ich werde lieber mit Delfinen und Robben schwimmen, den Gesang der Maori lernen
und meinen Freund heiraten.
Mit herzlichen GrüÃen,
Katharina Krug
NACHWORT
Â
Wann entsteht ein Buch? Dieses hier nahm seinen Anfang mit
der letzten Zeile, die ich für den Vorgänger »Der Tanz des Maori« geschrieben
habe. Ich fing an, mir zu überlegen, was aus John junior geworden sein mochte,
der am Ende des Buches wiederauftaucht. Wie konnte ein derart gequältes Kind
seinen Weg machen â und wie sehr mochten ihn die Ereignisse in einem der
reichsten Länder der Welt (und dazu zählte Neuseeland in den Fünfzigerjahren)
beeinflusst haben? Als mich dann auch noch die Leser von »Der Tanz des Maori«
fragten, wie es denn weitergehen würde ⦠da gab es kein Zögern mehr: »Der
Gesang der Maori« musste geschrieben werden.
Als ich anfing, die genauen
Ereignisse dieses Buches festzulegen, lag das Erdbeben in Christchurch noch in
der Zukunft. Keiner kann sich vorstellen, wie erschüttert ich war, als ich gesehen
habe, dass die Realität meine Fiktion eingeholt hat. Sicher, ein Erdbeben in
Neuseeland ist nichts Ungewöhnliches â aber dass ausgerechnet Lyttelton (und
Charteris Bay liegt nebenan) im Epizentrum lag, war schon unheimlich. Und die
Erde kommt seither nicht zur Ruhe ⦠Immerhin haben meine Freunde in Neuseeland
bis heute Glück â regelmäÃig erhalte ich Kurznachrichten mit dem Inhalt: »Keine
Sorge, bei uns hat es nur gewackelt!«
Andere Ereignisse habe ich tatsächlich aus der neueren Geschichte
Neuseelands entnommen. Das Eisenbahnunglück von Tangiwai an Weihnachten 1953
mit dem Besuch der jungen Queen Elizabeth II. fand genau so statt. Das Einzige,
was ich verändert habe, ist die Richtung, in die der Zug fuhr: In Wahrheit war
der Zug von Wellington in Richtung Auckland unterwegs (in diesem Buch reisen
John und Inge in die andere Richtung) â aber der Lahar, der für die Katastrophe
sorgte, ist ebenso historische Realität wie die hohen Opferzahlen.
Ebenso
Weitere Kostenlose Bücher