Der Gesang von Liebe und Hass
protección, Señora, mi madre.«
»Setz dich, mein Sohn«, sagte die alte Frau, »setz dich und trink die heiße Milch mit mir. Aber mach zuerst die Vorhänge zu, damit uns niemand sieht.«
Brenski zog die Vorhänge zu, setzte sich auf die Bank am Tisch, trank von der heißen Milch, und so wie er trank, fielen ihm die Augen zu.
»Komm, mein Sohn.« Die Alte packte ihn mit einem erstaunlich festen Griff an der Schulter. Er stand auf, sie stiegen eine Treppe hinan, gingen über einen Flur zu einem Zimmer, er fiel fast ins Bett. Aber als die Alte gegangen war, schleppte er sich noch einmal zur Tür, stellte einen Stuhl mit der Lehne unter die Klinke, legte das Gewehr neben sich auf den Boden, zog sich aus und ließ sich dann in die Kissen fallen. Er kroch unter die rauhe Decke in die frischgewaschen riechenden Laken und war sofort eingeschlafen. Er hatte sich ausgeliefert, zum Guten oder zum Bösen. Er konnte nicht mehr weiter.
30.
Zum ersten Mal seit Beginn des Bürgerkrieges benutzte Sebastián de Valquez y Ortega die Beziehungen eines Mannes, den er sich verpflichtet hatte, von dem er jedoch in Friedenszeiten nicht einmal ein Dankeschön dafür erwartet hätte.
Rodrigo und er hatten auf den angrenzenden Fincas ihrer Eltern gemeinsam ihre Kindheit verbracht, sie hatten gemeinsam die Schule der Padres besucht und anschließend die Universität.
Doch während Sebastián seine Examina stets mit guten Noten bestand, die Universität schließlich mit Auszeichnung verließ, heiratete und das Leben eines Spaniers des gehobenen Bürgertums führte, war Rodrigo von der Universität geflogen, seine Eltern hatten ihn für einige Jahre nach Venezuela zu Verwandten geschickt, doch von dort war er unverändert zurückgekehrt.
Rodrigo neigte zur Brutalität, er war verschlagen. Er ließ sich auf Geschäfte ein, die zuerst zwar sein Vermögen mehrten, ihn schließlich aber in den Bankrott stießen, und da hatte Sebastián um der Ehre seiner Familie willen mit Krediten ausgeholfen.
Rodrigo lebte in einem Stadthaus in Córdoba, das sich nur durch seine Größe von dem der Valquez unterschied.
Er empfing Sebastián in einem samtenen Morgenrock, einen Kelch Champagner in der Hand; der Salon mit den seidenbespannten Wänden in Purpurrot verriet noch die Spuren eines nächtlichen Gelages.
»Du erlaubst, daß ich ein Fenster öffne?« fragte Sebastián, nachdem er geschickt der überschwenglichen Umarmung Rodrigos ausgewichen war.
»Nur zu, mein Freund, nur zu! Du hast recht, die Luft vergangener Nächte ist wie der Atem des Todes.«
Sebastián lehnte dankend ein Glas Champagner ab.
»So spartanisch?« Rodrigo schüttelte spöttisch den Kopf. Er trug einen militärisch kurzen Haarschnitt, der das schwammiggraue Gesicht nur betonte. »Man sollte das Leben genießen, solange es währt. Ich denke oft an den Tod, weißt du? Und ich hoffe nur, wenn meine Stunde kommt, wird er mich schnell ereilen.«
»Rodrigo, ich habe nur eine Frage an dich: Kannst du mir einen Wagen mit einem zuverlässigen Chauffeur besorgen, der ein Mitglied meiner Familie zu Verwandten bringt? Ich brauche den Wagen für zwei Tage.«
»Ich höre, du hast deine Tochter wiedergefunden?«
»Ja, Maria Christina ist zurückgekehrt.«
»Geht es um sie?«
»Ja, es geht um sie.« Es war zwecklos zu lügen, dachte Sebastián; Rodrigo besaß die Fähigkeiten eines guten Jagdhundes, jedes Geheimnis zu erschnüffeln.
»Maria Christina braucht Ruhe, und sie wünscht sie bei frommen Verwandten zu finden.«
Rodrigo bekreuzigte sich. »Ich wünschte, Gott hätte mir eine Tochter wie deine Maria Christina geschenkt. Aber ich werde der letzte meines Geschlechtes sein. Und –«, er leerte sein Champagnerglas in einem Zug, »vielleicht ist das auch besser so. Ich bin mir sehr wohl im klaren darüber, Sebastián, wie verschieden wir voneinander sind. Du warst stets aufrecht, anständig, ich habe mir vom Leben genommen, was es zu bieten hatte, und das nicht zu knapp, und in der Hölle werde ich dafür büßen. Wann brauchst du den Wagen?«
»Wenn es sich einrichten läßt, morgen in der Frühe.«
»Was für ein Wagen soll es sein?«
»Wenn es geht, eine Limousine.«
»Ich werde dir den Daimler-Benz des Kommandeurs besorgen«, sagte Rodrigo, »und ihm dafür den fetten Hintern meiner Esmeralda überlassen, auf den er schon lange scharf ist. Und als Chauffeur werde ich dir meinen kleinen Carlito überlassen. Er ist so stumm wie ein Fisch, seit ihm die Anarchisten die
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