Der Gesang von Liebe und Hass
Hatte sie nicht gesagt: ›Du allein bist das Leben, du, Brenski‹?
Warum war er kleingläubig? Warum konnte er nicht die Taten und die Worte dieser jungen Frau, die für ihn alles bedeutete, für die einfache Wahrheit nehmen, die sie doch waren?
Brenski, du bist kein dummer Junge mehr, du bist ein Mann. Und ein Mann nimmt das Wort eines anderen Mannes an, oder er nimmt es nicht an. Er nimmt auch das Wort einer Frau an, an die er glaubt, oder er lehnt es ab. Einen dritten Weg gibt es nicht. Und du, Brenski, bist auf dem Weg nach Santiago, weil du gesagt hast, du würdest dorthin gehen. Warum zweifelst du jetzt daran, daß auch sie dorthin kommt, wenn sie es doch auch gesagt hat?
»Sag mir, ob sie kommen wird!« rief er dem Eichhörnchen zu, das sich ihm neugierig auf einem Ast der großen Eiche genähert hatte.
Das Tier putzte sich im jungen Licht der Sonne, legte den Kopf schief, sah ihn mit diesen kleinen, scharfen, schwarzen Augen so voller Leben so klug an, als könnte es ihm einen Rat geben, wenn es nur die menschliche Sprache beherrschte.
»Sag es, komm, sag es mir!«
Das Eichhörnchen hob den Kopf, machte: »Zzezezech …«, legte den Kopf dann wieder schief und sah ihn erwartungsvoll an. Brenski zog langsam, um es nicht zu verschüchtern, den Brotbeutel heran, nahm den Käse heraus, brach drei kleine Brocken davon ab, legte sie vor sich auf den Boden.
Das Eichhörnchen kam noch näher, war jetzt am äußersten Ende des Astes angelangt, der gefährlich zu wippen begann, rannte dann zurück, versteckte sich hinter dem Stamm der Eiche, lugte schließlich wieder zu Brenski hin.
Er schob die Käsebrocken weiter von sich fort, in Richtung auf den Baumstamm. Das Eichhörnchen verschwand, um gleich darauf unten zwischen den Wurzeln in der Eiche aufzutauchen. Es hüpfte schnell näher, betrachtete Brenski, ließ wieder dieses »Zzezezech …« hören und schnappte sich den ersten Brocken. Es rannte zurück, drehte den Brocken nach Art dieser Nager in seinen winzigen, in ihrer Form fast menschlichen Pfoten, nagte dabei daran, bis er verschwunden war.
Schnell huschte das Eichhörnchen wieder herbei und verputzte an Ort und Stelle, diesmal so nahe, daß Brenski es fast streicheln konnte, die beiden letzten Käsebrocken.
Er blieb sitzen. Das Eichhörnchen schaute zu ihm auf, entblößte seine Zähne, und es sah so aus, als lache es.
Brenski mußte sein eigenes Lachen unterdrücken.
»Sag mir, ob Maria Christina kommt!«
»Sisisisisi …«, machte das Eichhörnchen.
»Sieh einer an, du hast es also doch verstanden! Aber heißt es nicht ›nononono‹, du kleiner Vagabund des Waldes?«
»Sisisisisi …«, zischte das Eichhörnchen, schaute noch einmal zu ihm auf und war dann verschwunden, dem Ruf einer anderen Eichkatze folgend.
›Si‹, hat der kleine Kerl gesagt.
Brenski lachte leise. Ja, sí, sie wird kommen.
Wenn sie noch lebt.
Ja, wenn sie noch lebt.
Am Nachmittag dieses Tages erreichte er die Sierra Cabrera. Bisher war ihm das Glück treu geblieben. Er war mehreren Streifen der Regulares begegnet, hatte sie aber nur aus der Ferne gesehen, und sie hatten ihn nicht entdeckt.
Als er einen steilen Hang hinanstieg, sammelten sich drohend schwarze Wolken mit pulverfarbenen Rändern über den Gipfeln der Sierra. Es wurde empfindlich kalt, und Brenski ahnte, daß dies den ersten Schnee des Jahres hier oben bedeuten konnte; es war erst September, viel zu früh, aber das Wetter in Spanien, auf dem. Festlandkegel, nicht an den langen, sonnigen Küsten, war immer launisch, und so konnte hier im Norden auch schon der Winter kommen, wenn vielleicht unten, in Córdoba, noch der Spätsommer mit seiner Hitze regierte.
Diesmal fand er Unterschlupf in einem verlassenen Steinbruch, in einer Höhle, die wohl früher Arbeitern für ihre Siesta gedient hatte, denn überall lagen leere, verrottete Blechbüchsen herum, Ölsardinen- und Cornedbeefdosen, leere Weinflaschen und ein vermoderter Sack.
Brenski aß das letzte Brot, aß den letzten Käse. Vier Tage lang hatte er sich mit kleinsten Rationen begnügt, und er spürte nun, wie hungrig er tief innen in seinem Bauch war, wo es rumpelte und polterte, als wollten ihm die Gedärme selbst anzeigen, wie leer sie waren.
Wasser hatte er genug. Immer, wenn er an einen sauberen Bach kam oder gar an eine Quelle im Wald, füllte er seine Feldflasche auf.
Als er gegessen hatte, legte er sich auf den Steinboden der Höhle hin. Die Kälte schnitt durch seine dünne
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