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Der Glanz der Welt

Der Glanz der Welt

Titel: Der Glanz der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Amon
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es sich leisten konnte, einen lächerlichen Cent als Trinkgeld hinzuwerfen, ohne Fragen nach dem eigenen Reichtum zu provozieren. Schnittling genoss es, diese fast nicht sichtbaren 1-Cent-Stücke zu werfen. Nur Parvenus warfen mit Scheinen herum, er aber war der Sechzehnte der Schnittlings, auch wenn das so nicht ganz stimmte. Irgendwann hatte man sich aus dynastischen Gründen ein wenig verzählt, um eine längere Linie der Generationenfolge vorzutäuschen, als dem Stammbaum entsprach. Dort war das Geäst jetzt ein wenig schütter, weil ein paar Schnittlings, die Nummern zwischen vier und vierzehn, nicht auffindbar waren. Aber trotzdem: Die echten Parvenus der Sippe waren längst in der Familiengruft verrottet. Und die Familiengruft, einst ein Mischmasch aus Stilen und Epochen, neureich eben, war heute leicht verwittert, so, wie es sich gehörte, trug die Patina des Alteingesessenen, war nicht mehr Kitsch, sondern Klassik, Ringstraßenarchitektur auf dem Friedhof, Fin de Siècle, welchen Jahrhunderts auch immer.
    „Das ist der Bein“, sagte Grapschmann, nachdem er das Bild unter der Schlagzeile flüchtig gemustert hatte.
    „Wer follte ef fonft fein?“, sagte Schnittling.
    „Gute Arbeit, ging ja schnell“, sagte Grapschmann.
    „Wenn wo ein Geschwür aufbröcht, muf man fnell daf Meffer anfetzen“, flüsterte Schnittling.
    Bein hatte seine kleine Karriere während Grapschmanns Zeit als Finanzminister begonnen. Er war als Pressesprecher in dessen Vorzimmer gesessen. Reiner Zufall! Bein hatte in seiner Jugend am Reinhardt Seminar Schauspiel studiert und damit die beste Eignung, der Presse in gepflegter Sprache ungepflegten Unsinn nahezubringen. Eines Tages sprach er im Finanzministerium vor, weil man ihm die Subventionen für sein Kleintheater drastisch zusammengestrichen hatte.
    Eigentlich war der Kunstminister zuständig, aber Bein hatte sich offenbar gedacht, es sei besser, gleich dorthin zu gehen, wo das Geld wirklich verteilt wurde.
    Er legte also vor dem Finanzminister den mit dem Finanztod ringenden Theaterdirektor aufs Parkett. Es war die totale Schmiere, aber da Grapschmann ohnedies die Schmiere zur Politik erhoben hatte, gefiel ihm der Auftritt. Das war der richtige Mann für den Posten des Pressesprechers. Statt ihm eine Subvention zuzusagen, engagierte er ihn vom Fleck weg.
    Bein beteuerte zwar, vom Geschäft nichts zu verstehen, weder von Politik noch von Finanzen. Aber Grapschmann lachte bloß sein strahlend weißes Zahnpastalächeln: „Da sind wir schon zwei. Das nennt man vorurteilsloses Herangehen an die Sache.“ Dann klopfte er Bein zwei Mal kräftig auf die Schulter und prostete ihm mit einer Dose Blue Cow zu, nicht ohne zuvor dem verdatterten Bein eine Dose dieses Gesöffs in die Hand gedrückt zu haben.
    „Prost! Auf gute Zusammenarbeit“, sagte Grapschmann, „da machen wir einen lukrativen Sondervertrag. Zehn Prozent gehen an mich.“
    Bein sah ihn verwirrt an. „Guter Witz, gell, haha“, dröhnte Grapschmann, „Sie müssen auch keine Parteisteuerzahlen, ich bin jetzt auch ein parteifreier Schwarzer und behalte alles für mich, solange es Bargeld ist. Haha, guter Witz. Und sag einfach Klaus-Hugo zu mir.“
    Bein war ein wenig konsterniert. Überrumpelt und überrascht, andererseits auch geschmeichelt. Da erkannte endlich einer, welche Talente in ihm schlummerten. Er streckte Grapschmann die Hand entgegen: „Bein, ich meine: Erwin, Erwin Bein, Sie, du kannst Erwin sagen.“ Er stotterte mit perfekter Aussprache und Atemtechnik, alte Schule, bevor die Piefkes das Burgtheater besetzt hatten. Und statt Bein staatliche Subventionen zu geben, schickte Grapschmann ihn zu Schnittling; er rekommandierte ihn – so pflegt man den Sachverhalt, dass jemand auf Empfehlung wo hingeschickt wird, also ein Günstling ist, mit einem Begriff aus der altösterreichischen Amtssprache zu umschreiben. Wer hierzulande weiterkommen will, muss rekommandiert sein. Von möglichst weit oben. Dann kommt er ebenso sicher an wie ein rekommandierter Brief.
    Noch bevor Grapschmann selbst als Finanzminister abtrat, hatte es Bein erwischt. Er war trotz eines Diplomatenausweises mit einem Koffer voll Geld von einem übereifrigen Zollbeamten auf dem Wiener Flughafen durchsucht worden. Ziemlich peinlich für einen Pressesprecher des Finanzministers. Trotz aller Proteste Beins war der Mann nicht zu bremsen gewesen. Zuerst hatte er den Geldkoffer entdeckt und dann den gefälschten Diplomatenpass. Bein musste

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