Der Glanzrappe
gesucht.«
Aber es brauchte keine Worte. Es gab nur einen Grund für ihn, hier auf diesem Weg zu sein, und daß er sich verirrt hatte, war unwahrscheinlich. Die Augen des Mannes wurden jetzt unruhig, bewegten sich ständig hin und her, und da erkannte Robey , daß es nicht die Augen eines Mörders waren, sondern die eines Menschen, der vor der Sünde und ihren Folgen und vor dem Tod flieht.
»Das ist ein gutes Pferd«, sagte der Mann. »Jeder, der das Pferd gesehen hat, würde dich wiedererkennen.«
»Fahr zur Hölle«, sagte Robey .
»Aber ich hab dich erwischt«, sagte der Mann und schob den Unterkiefer entschlossen vor. Dann lächelte er kalt, als wollte er die Herausforderung etwas zurücknehmen.
»Was habe ich mit deinem Leben zu schaffen?« fragte Robey .
»Deshalb bin ich hier. Genau darüber will ich mit dir reden.«
Bring ihn um, dachte er. Mach Schluß mit ihm, sagte er sich, und seine Gedanken waren schnell und klar, hell wie von Gott gesandt. Sein Urteil würde kein Abwägen kennen, keinen Ermessensspielraum und keine Verhältnismäßigkeit.
»Wir sind schon tot«, sagte der Mann, »du und ich«, öffnete weit die Arme und verwies auf die hohen Felswände, die sie wie ein Grab umschlossen. »Unsere Seelen sind die Seelen von Gescheiterten«, sagte er voller Entzücken.
Dann löste sich der Schuß an diesem sonnenlosen, sternlosen, zeitlosen Ort, und da war der Mann schon über dem Hals der Fuchsstute zusammengebrochen. Das Pferd stieg hoch, und der Reiter rutschte von seinem Rücken und schlug schwer auf dem Boden auf, als wäre er aus großer Höhe herabgeschleudert worden. Beim Fall auf den schneebedeckten Boden vollzog er eine Drehung und rollte sich ab, landete auf der Schulter und sackte mit einem Schmerzensschrei auf den Rücken.
Erst in diesem Augenblick war zu hören, wie der Schuß die Luft zerriß, den Robey abgegeben hatte.
Ehe er abstieg, lenkte er den Hengst einen Schritt nach vorn, und Roß und Reiter standen über dem am Boden liegenden Mann. Die Kugel war in seine Brust eingedrungen, aber nicht wieder ausgetreten. Sie hatte die Knochen durchschlagen und steckte in der Schulter fest. An der Stelle, wo sein Schädel auf dem steinigen Weg aufgetroffen war, lief ein dünnes Rinnsal aus Blut an seinem Gesicht entlang. Ein unablässiges Stöhnen war alles, was der Verletzte seinen unerträglichen Schmerzen entgegensetzen konnte. Er atmete schwer, ein Durcheinander gleichlautender Botschaften drang auf ihn ein. Im Todeskampf schwanden seine weltliche und geistige Macht, schwanden Düsternis und Bedrohung und die dunkle Energie, die sein Leben beherrschte.
»Volltreffer«, keuchte er und senkte den Blick auf die Blasen, die aus seiner Brust quollen.
»Glaubst du?« sagte Robey . Er stieg ab und beugte sich über ihn.
»Ja, das glaube ich. «
B lut füllte die roten Äderchen in seinen glasigen Augen. Seine bleichen Lippen versuchten Worte zu formen, aber er brauchte mehrere Anläufe. »Sollte ich nicht?«
»Doch.«
»Sag ihr, die Frau ist tot. Sie muß es wissen.«
»Gar nichts werde ich ihr sagen«, sagte Robey .
»Mein Kopf ist so schwer«, sagte der Mann. »Wie Blei.«
Dann folgten keine Worte mehr, und sie verharrten schweigend. Er überlegte, ob er seine Taten bereuen sollte. Hatte er nicht langsam genug Beiträge zum sinnlosen Töten in der Welt geleistet? Egal, wie gerechtfertigt seine Taten waren. Hatte er nicht das Leben von Menschen genauso beendet wie andere das Leben seines Vaters beendet hatten? Er dachte an Schuld, wollte sie auf sich laden, aber sie wollte weder seinen Verstand noch sein Herz erfüllen, blieb weiterhin an einem abgegrenzten Ort, irgendwo in ihm. Hatte er beim ersten Mal auch sich selbst getötet, und war er also bereits tot?
Als er sein Werk beendet hatte, schwang er sich auf den Glanzrappen, griff nach den Zügeln der Fuchsstute und ritt nach Hause. Auf dem engen, steinigen Weg hatte er das Gefühl, daß nun ein Stück Niedertracht verschwunden war, aber was sie hinterließ, konnte er nicht ungeschehen machen und auch nicht vergessen.
Er sah helles Licht aus den Fenstern vor sich scheinen. Er dachte, daß die Niedertracht auch in seinem eigenen Haus weiterlebte, und da man sie bei ihrer Geburt nicht t öten konnte, mußte man sie bedingungslos lieben. Er wünschte sich, erschauern zu können. Er wünschte sich, seine Taten bedauern zu können, und klagen und weinen. Er wünschte sich die Vergangenheit zurück, als er noch ein Kind war und wie
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