Der Glasmaler und die Hure
begegnen.
Martin war noch ganz in diese Gedanken versunken, als eine der Dirnen auf ihn zueilte und an ihrem Mieder zog, so daß sein Blick unweigerlich auf eine fleischige Brust mit einer großen rosigen Warze fiel.
»Gönnt Euch ein wenig Zerstreuung, mein Herr. Die Zeiten sind traurig«, rief die Frau. »Für eine Mahlzeit gehöre ich Euch die ganze Nacht.«
Martin machte eine abweisende Handbewegung und entfernte sich rasch. Hinter sich konnte er das spöttische Gelächter der Dirnen hören. Er schaute sich nicht um, fragte sich aber, ob wohl auch Thea über ihn lachte.
Auf dem Vorplatz des Doms hausten viele Zufluchtsuchende in provisorischen Zeltverschlägen. Doch vor allem im Dom selbst zeigte sich die in der Stadt herrschende Not am offensichtlichsten. Martin betrat das Gotteshaus durch das Nordportal. Sofort schlug ihm der drückende Geruch von Krankheiten und Fäkalien entgegen. Es mochten andie zweitausend Männer, Frauen und Kinder sein, die unter dem Dach des Doms Zuflucht gesucht hatten.
Sein Leben lang hatte es Martin überwältigt, hier am Taufstein in der Nähe des Portals zu stehen und die Weite der lichtdurchfluteten Schiffe zu genießen. Reformation und Krieg hatten dem Dom die schillernde Pracht genommen, doch allein der Anblick der mächtigen Pfeiler und Arkaden und die gewaltige Höhe des Innenraumes entführten Martin stets in eine andere Wirklichkeit.
Nun aber war dieser Monumentalbau zu einer Arche aus Stein geworden, in der eine brodelnde Masse hauste, versunken in Gebete und Wehklagen. Martin drängte sich mühsam durch die Menge, passierte die prächtige, mit Alabasterfiguren und -reliefs geschmückte Kanzel und hielt in der Menge Ausschau nach seinem Bruder Sebastian. Neben dem Chorgestühl verharrte er einen Moment und betrachtete das Standbild einer Maria mit dem Jesuskind, die mit freundlich forschem Blick über das Geschehen im Dom wachte. Man hatte ihr den Namen
Schwarze Maria
verliehen, weil ihr Gesicht mit dunkelbrauner Farbe angestrichen worden war. Seit langer Zeit schon wurde das Standbild als wundertätige Madonna verehrt. Auch die Reformation hatte nichts an diesem Nimbus ändern können.
Martin entzündete zu Füßen der Muttergottes eine Kerze, bekreuzigte sich und faltete die Hände. Er starrte auf die zitternde Flamme und flehte um das Wohl seiner Frau Sophia.
Was auch immer geschehen mag, Herr, halte deine Hand über meine Frau. Laß es nicht geschehen, daß das Leid, das der Krieg über uns bringt, ihr Schaden zufügt oder gar ihr Leben bedroht.
»Es freut mich, zu sehen, daß du dir die Zeit nimmst, dem Herrn nah zu sein.«
Martin wandte sich um und sah seinen Bruder Sebastianvor sich stehen. »So schlecht wie meine Geschäfte laufen, ist das wohl kein großes Opfer«, meinte er.
Sebastian lächelte mitfühlend und klopfte Staub vom Ärmel seines schwarzen Gewandes. Er deutete mit der Hand auf die Masse an Menschen und seufzte.
» Das Haus Gottes
. Nie war diese Floskel treffender als zu dieser Zeit.« Martins älterer Bruder, der als Prädikant in den Diensten des Domkapitels stand, überwachte in diesen schweren Tagen die Verpflegung und Unterbringung der Flüchtlinge im Dom.
Martin nickte. Sein Blick wanderte über die vielen von Resignation gezeichneten Gesichter. »Die Menschen in dieser Stadt scheinen davon überzeugt zu sein, daß die Hölle über sie kommen wird«, sagte er. »Aber wir dürfen den Mut nicht verlieren. Ich jedenfalls glaube fest daran, daß Magdeburg in wenigen Tagen von der schrecklichen Belagerung erlöst wird. Sei es unter kaiserlicher oder schwedischer Flagge.«
»Wenn es doch nur so sein könnte …« Martin merkte es Sebastians Tonfall an, daß er seine Hoffnungen nicht zu teilen vermochte.
»Klingen meine Worte denn so abwegig? Ich kann ganz einfach nicht glauben, daß der Rat das Ultimatum der Kaiserlichen mißachtet. Sollten die schwedischen Truppen wirklich nicht rechtzeitig eintreffen, wird man einen Akkord abschließen müssen und dem Generalissimus Tilly die Stadt übergeben.«
Sebastian wirkte bedrückt. »Du willst immer nur das Beste sehen, Martin. Es ist wohl an der Zeit, dich mit den Gegebenheiten vertraut zu machen.« Er bedeutete Martin, ihm zu folgen. Sie stiegen eine Treppe hinauf, die zur umlaufenden Dachgalerie des Hohen Chores führte. Martin sträubte sich dagegen, die Galerie zu betreten, denn er wußte, daß man von hier aus das gesamte Umland überschauen konnte. Seit dem Beginn der Belagerung hatte
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