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Der Glaspavillon

Titel: Der Glaspavillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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unschuldigen Beziehung der Familienmitglieder untereinander zu einem Stadium, wo ein ähnliches Verhalten sexuell aufgeladen wird, weil das Mädchen zur Frau wird und die Macht erkennt, die es ausübt.«
    »Was passiert?«
    »Sie bekommt mehr, als sie erwartet hat. Als er merkt, daß sie ihn an der Nase herumgeführt hat, bringt er sie dazu, zu ihrem Angebot zu stehen. Sie muß die Konsequenzen, die ihr Verhalten logischerweise haben wird, erkennen. Aber das ist gleichzeitig auch die überraschende Wendung, verstehst du. Noch in dieser Situation benutzt sie ihre Sexualität als eine Form der Macht, die sie über ihren Bruder hat. Sie verhöhnt und demütigt ihn. Was als Bestrafung für sie gedacht war, wird für sie zum Genuß.«
    »Und dann?«
    »Das Ganze wäre nach und nach vielleicht im Sande verlaufen, aber sie wird schwanger.«
    »Kann sie nicht abtreiben lassen?«
    »Diese Frage stellen sie sich gar nicht. Das Mädchen droht seinem Bruder damit, daß es ihn vor der Familie bloßstellen will.«
    »Das hört sich ja an, als würdest du auf der Seite des Mörders stehen.«
    »Jede Geschichte hat doch zwei Seiten, oder? Und was uns Menschen auszeichnet, ist unsere Vorstellungskraft!

    Sagtest du das nicht immer?«
    »Denkst du, dir gelingt es, die Leser davon zu überzeugen, daß ein junges Mädchen es verdient, von seinem Bruder, der es geschwängert hat, ermordet zu werden?«
    Claud zuckte die Achseln, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Das ist eine künstlerische Herausfor-derung.«
    »Wie stellt der Junge es an?«
    »Ja, das ist nicht uninteressant, nicht wahr?« Claud wirkte ruhig und nachdenklich. »Im Vergleich zu der Tat selbst besteht die weitaus größere Schwierigkeit darin, nicht überführt zu werden. Der Bruder zieht zwei ganz unterschiedliche Möglichkeiten in Betracht. Er könnte seine Schwester zum Beispiel zufällig bei einem Streit töten. Das Schlimmste, was der Täter in einem solchen Fall zu erwarten hätte, wäre eine kurze Haftstrafe; wenn er Glück hat, bekommt er Bewährung. Aber das ist keine besonders reizvolle Lösung. Ich mußte …« Claud wirkte, als habe er für einen Moment den Faden verloren. Er trat die Zigarette aus und zündete sich eine neue an. »Ich wollte über einen Jungen schreiben, der seine Schwester tötet, um den Anstand zu wahren. Ihn hat sie ganz offensichtlich provoziert, aber sie vergiftet auch die Atmosphäre in der Familie. Sie ist ein Mädchen, das hinter Geheimnisse kommt und dieses Wissen ausnutzt. Familien brauchen ihre Geheimnisse, diese kleinen Ausflüchte, die alles zusammenhalten. Dieses Mädchen ist dabei, eine gute, eine großartige Familie zu zerstören. Viele werden mir zustimmen, wenn ich sage, es ist besser, ein Mädchen zu verlieren als eine komplette Familie.«
    »Vom Standpunkt des Mädchens erfährt man in der Geschichte wohl nicht sehr viel.«
    »Ihr Standpunkt ist sonnenklar: Sie folgt ihren unmittel-baren Begierden, egal, welchen Schaden sie damit bei anderen anrichtet.«
    »Wie begeht der Junge eigentlich den Mord?«
    »In dem Haus auf dem Land, in dem die Familie lebt, soll ein großes Sommerfest stattfinden. Es werden sehr viele Menschen kommen, und so wird es nicht weiter auffallen, wenn jemand fehlt. Der Bruder organisiert dieses Fest, und dabei kommt ihm eine Idee. Er sorgt dafür, daß der Grill für die Party erst in letzter Minute gemauert wird, und weil er sich mit den Handwerkern anlegt, ist der Grill am Abend vor der Party erst halb fertig. Er bittet seine Schwester, sich mit ihm mitten in der Nacht zu treffen. Da das Mädchen mit einem Jungen aus dem Ort flirtet, schlägt er vor, es solle seiner Zimmerge-nossin einfach sagen, es habe sich mit seinem neuen Schwarm verabredet. Er erwürgt seine Schwester und vergräbt ihren Leichnam nicht sehr tief an der Stelle, wo der Grill am nächsten Morgen fertig gemauert werden soll.«
    »Ist der Grill nicht ein viel zu auffälliger Platz?«
    »Das Schöne an diesem Plan ist, daß mehrere andere Faktoren hinzukommen. Der Roman spielt im Jahr 1969.
    Wenn damals ein aufsässiges, schwieriges sechzehnjähriges Mädchen verschwand, nahm man an, daß es von zu Hause weggelaufen sei. Als man dann später Schlimmeres nicht mehr ausschließen kann, ist bereits einige Zeit vergangen, und bei dem ganzen Durcheinander, das auf der Party herrschte, kann niemand mehr genau sagen, wann es zum letztenmal gesehen wurde. Doch die Anwesenden haben den Eindruck, das Mädchen sei auf der Party

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