Der globale Eingriff
Funktion versagt.
Weil das zweite Fahrzeug schwerer war, war viel weniger von dem Motor auf den Schoß des Fahrers gerutscht, aber sein Zustand schien sich nicht sehr von dem der zwei Toten in dem grünen Wagen zu unterscheiden, von einer stärkeren Blutung mal abgesehen.
„Wir holen ihn da raus“, sagte Malcolm und legte seine Arme unter die Knie des Mannes. Ann ergriff ihn unter den Achseln, und sie versuchten gemeinsam, ihn hochzuheben, aber er saß fest.
Malcolm tastete herum, um das Hemmnis zu finden. Er versuchte, die warmen roten Tropfen, die bei jedem Ausatmen des Mannes auf seine Wange klatschten, nicht zu beachten. Er ertastete und sah dann, daß ein Unterstützungspfeiler der Trennwand durch den Sitz gestoßen war und sich tief in der Lendengegend des Mannes vergraben hatte.
Malcolm zog scharf die Luft durch die Zähne, dann zeigte er auf die Verletzung und sagte rauh: „Eine Ükass her.“ Ann starrte auf das längliche Metallstück, das den Mann festhielt wie ein riesiger Angelhaken, dann seufzte sie und öffnete die Medizintasche.
„Ükass“, sagte der Mann schwach und begann zu keuchen.
Er war bei Bewußtsein, wenn auch der Schock vielleicht sein Hirn vernebelte. Aber jeder, der so sehr versuchte zu reden, mußte etwas Wichtiges zu sagen haben, bevor er starb.
Es war seltsam, dachte Malcolm, daß in dieser weitgehend gottlosen Zeit die Beichte immer noch als gut für die Seele angesehen wurde – in solchem Maße, daß eigene Gesetze in Kraft waren, die einem sterbenden Menschen das Recht gaben zu wählen, ob er schmerztötende Medizin annehmen oder lieber weiterhin leiden wollte, damit seine letzten Worte seine Freunde oder Verwandten erreichten. Malcolm nahm die von Ann dargebotene Ükass.
„Sie wollen mir etwas sagen?“ sagte er laut in das Ohr des Mannes, dann schaltete er ein.
„Ükass“, sagte der sterbende Mann.
Malcolm blickte zu Ann herüber, die bereits eine große Dosis eines sofort wirkenden Betäubungsmittels aufgezogen hatte, und schüttelte den Kopf. Wenn der Mann zu reden wünschte, dann mußte ihm die Gelegenheit dazu gegeben werden, selbst wenn seine Sprachfähigkeit momentan auf ein einziges Wort beschränkt war, so lautete das Gesetz. Vielleicht hatte der Mann noch nicht richtig mitbekommen, daß bereits eine Ükass lief. Rasch ließ Malcolm das Band zurücklaufen und schaltete dann auf Abspielen, um dem Mann zu zeigen, daß das Aufnahmegerät funktionierte. Die verstärkte Stimme des Mannes wiederholte das Wort „Ükass“, dann schaltete Malcolm wieder auf Aufnahme um.
„Sagen Sie’s mir“, sagte er.
Der Mann versuchte angestrengt, es ihm zu sagen, aber für ein paar Minuten konnte er nichts tun als unkontrolliert husten. Malcolm sagte: „Ich gebe Ihnen eine Spritze.“
Der andere schüttelte schwach den Kopf und unterdrückte dann sein Husten mit sichtbarer Anstrengung. Als er anfing zu reden, verzog sich sein Gesicht vor Schmerz. „Wir leben… alle weiter… Ja!“
„Mach weiter, mein Freund“, sagte Malcolm.
„Das war… purer Schwachsinn“, stöhnte er. „Norton ist unvorsichtig geworden, und ich mußte… Sind alle beide tot?“
„Ja“, sagte Malcolm.
„Sind Sie… sicher?“
„Ja.“
„Dann bin ich froh“, sagte der Mann mit erstarkender Stimme. „Es sind sowieso viel zu viele nette, dumme Menschen da. Es hätte nicht erlaubt werden dürfen… daß die beiden zusammen in dem Auto sind… Sicher auf einem leeren Stück Autobahn… sie fühlten sich so sicher, hätten nicht gedacht, daß ich mithören würde… Diese Idioten, warum mußte ausgerechnet ich es sein…?“
Sowohl Ann als auch er selber hatten eine Menge letzter Worte auf Ükass aufgezeichnet und hatten dies alles schon vorher gehört: die letzten besorgten, aufmunternden Nachrichten an die Lieben; das Geständnis, ein schweres oder auch nur ein unbedeutendes Verbrechen begangen zu haben, und natürlich auch vergleichsweise wenige Schicksalsverwünschungen, die sich über die Ungerechtigkeit aufregten, jetzt schon sterben zu müssen.
Der Fahrer redete immer noch mit klarer Stimme, obwohl ihn die Anstrengung sehr schmerzte. Malcolm hätte Mitgefühl mit dem Mann haben müssen, und er hatte es auch – aber er war sich sicher, daß sein Mitgefühl viel größer gewesen wäre, wenn der Fahrer nicht darauf bestanden hätte, die Schuld an dem Unfall auf das Paar in dem grünen Auto abzuwälzen, die, das war klar, auf der richtigen Spur in die richtige Richtung gefahren
Weitere Kostenlose Bücher