Der Goldschmied
schwere Bodenluke, die sich ohne den geringsten Laut bewegen ließ! Er spürte, wie es ihn fröstelte, und es kam sicher nicht von der modrigen Kühle ringsumher. Gwyn stieß die Bodenluke ganz auf und kletterte hinauf. Im Schein seines kleinen Lichtes tanzte der Staub, und es kostete ihn Mühe, ein Niesen zu unterdrücken.
Der Dachboden war groß und völlig leer. Der Dachstuhl wölbte sich mehr als vier Manneslängen über ihm. Winzige Läden, verkleidet mit einem Geflecht aus dünnen Holzstreifen, tauchten den gesamten Raum in ein fahles Licht, in dem sich dunkle Gestalten zu bewegen schienen, groß und schnell bei jeder Bewegung. Aber es war nur Gwyns eigener Schatten, der sich grotesk verzerrt die Wände entlangbewegte. So wagte er es erst nach einer Weile, in den Raum zu treten. Das Dach ruhte auf mächtigen Eichenpfetten. Wie die meisten großen Häuser in London war auch das Haus des Fallen mit einer festen Lage Schilf gedeckt. Gwyn wunderte sich über die schweren Taue, die zwischen den Balken gespannt waren. Sie führten von jedem Stützbalken durch den ganzen Raum, so dass sie ein langes eingefasstes Rechteck ergaben. Der Boden dort war mit einer hellen Sandschicht bedeckt, fingerdick und sauber gefegt.
Gwyn hatte plötzlich das Gefühl, nicht allein zu sein.
Dies war sicher nur die Furcht, ähnlich jenem Schauder bei alten Geistergeschichten, die seine Mutter ihm und Sid manchmal erzählt hatte.
Als Kind hatte er sich davor gefürchtet … sehr gefürchtet.
Aber da war er ein Kind gewesen.
Trotzdem wagte er kaum zu atmen, als er behutsam in die Mitte des Raumes schlich. Dort fand sich ein mächtiger Balken, der die Hauptlast des Dachstuhles trug. Und genau an diesem Balken lehnte ein langer schlanker Bogen, fast so lang wie ein Mann hoch. Daneben, in einem Leinensack, ein Bündel Pfeile. Erstaunt trat er näher. Bei den großen Wettkämpfen der Stadt hatte er die Bogenschützen immer besonders bewundert, deren oftmals erstaunliche Schießkunst verblüffend war. Doch die Bogen jener Schützen waren viel kleiner gewesen. Auch waren diese Waffen mit breiteren Schäften versehen. Dieser Bogen hier war aus vielen dünnen Schichten feinsten Holzes kunstvoll verleimt und dann geglättet und poliert worden. Beide Enden verliefen in einem kaum merklichen Schwung, und beide Spitzen waren nur ein wenig dicker als der Daumen eines Mannes. Die Sehne schimmerte ein wenig und war gespannt. Dies hier war eine Kriegswaffe, hervorragend gearbeitet und von kundiger Hand gepflegt.
Vorsichtig griff Gwyn nach dem Bogen und wog ihn in der Hand. Wie leicht er war! Dort, wo die Hand den Schaft festhält, war das Holz mit feinem, hellem Leder umwickelt. Sonst konnte er keinen weiteren Zierat entdecken.
Er stellte sich in Positur, so wie er es bei den Schützen gesehen hatte, und spannte die Waffe. Er musste ordentlich Kraft aufwenden, um die Sehne auch nur einen Zoll weit zu bewegen. Einen Moment lang konnte er sie halten. Dann ließ er los.
Ein singender Ton ertönte, der immer leiser wurde, bis er kaum noch zu hören war. Hart hatte die Bogensehne an seinem Handgelenk angeschlagen. Jetzt war ihm auch die Wirkung der ledernen Armmanschetten klar, welche die Schützen sich vor dem Schuss schnürten.
Gwyn bekam nachträglich einen gehörigen Respekt vor der Kraft und der Geschicklichkeit der Bogenschützen, die er so oft bewundert hatte. Er wollte den Bogen zurücklegen, als er den leisen Hauch hinter seinem Rücken verspürte.
Jemand war hinter ihm …
»Es ist ein sächsischer Langbogen!«
Erschrocken fuhr Gwyn herum. Nur wenige Schritte hinter ihm stand Peter Fallen.
Wie war es dem alten Mann gelungen, sich unbemerkt, ohne das geringste Geräusch, heranzuschleichen? Gwyn sah, wie sein Lehrherr näher kam. In dem dämmrigen Licht schien der alte Mann zu schweben. Erst jetzt erkannte der Lehrling den Zweck der Taue, die kreuz und quer verspannt waren: Der alte Mann hielt sich daran fest und hangelte sich erstaunlich schnell durch den Raum. Nur jeweils für einen Moment ertönte ein leises kurzes Geräusch, wenn die Fußspitze eines seiner wehen Beine für einen Moment den Boden berührte.
Noch immer stand Gwyn wie erstarrt, den mächtigen Bogen in der Hand. Der alte Mann hielt vor ihm, sich nur mit der einen Hand auf ein Bein stützend. Sein Haar und der Bart waren voller Spinnweben. Fallen griff nach dem Bogen und nahm ihn behutsam aus Gwyns Hand.
»Es ist ein sächsischer Langbogen!«, wiederholte der Faber mit
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