Der Gottesschrein
Fischerring auf Jerusalem, das nun zum Mameluckenreich gehört. Das Heilige Land war in schimmerndem Blattgold ausgeführt. Das Herrschaftsgebiet des ägyptischen Sultans, dessen Grenzen mit roter Tinte auf der Karte eingezeichnet waren, erstreckt sich vom syrischen Aleppo über Antiochia, Damaskus und Jerusalem bis in die libysche Wüste westlich von Alexandria, in die nubischen Länder südlich von Assuan und umfasst auch die tributpflichtigen Vasallenstaaten der Emire von Medina und Mekka. Ein gewaltiges Reich, größer als jeder christliche Staat in Europa, mächtig und unbesiegbar.
»Ich glaube, dass das Reich des Priesterkönigs an den Quellen des Nils liegt«, offenbarte ich. »Ist es also möglich, an der afrikanischen Westküste entlangzusegeln, die Südspitze des Kontinents zu umrunden, um im Osten, in Äthiopien, die ›Terra do Preste João‹ zu erreichen? Der Großmeister der Erben des Templerordens, der sich selbst als Kreuzritter im Kampf gegen den Islam sieht, glaubt offenbar fest daran. Jenseits der muslimischen Reiche sucht er einen starken Verbündeten in seinem Kampf gegen den Islam, in seinem Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems von der Herrschaft der Mamelucken – den Priesterkönig Johannes, den König der Könige, den mächtigsten und reichsten Herrscher der Welt. Mit seiner Streitmacht könnte dem Großmeister und seinen Mönchsrittern gelingen, woran alle Kreuzzüge bisher gescheitert sind – die völlige Vernichtung des Islam.«
Wie gebannt folgte mir der Papst durch das Gespinst aus faszinierenden Mysterien, das ich in den letzten Tagen entwirrt hatte – die Tempelritter und ihr verschollener Schatz. Die Erben der Templer. Der sagenhafte Priesterkönig Johannes. Der Santo Cáliz, der Heilige Gral in der Kathedrale von Valencia. Und der geheimnisvolle Stein ›Lapis ex coelis‹, den die Templer in Wolfram von Eschenbachs Parzival in der Gralsburg Munsalvaesche bewachen.
»Der Gralsdichter Wolfram von Eschenbach wusste meines Erachtens von einer Verbindung der Templer zum Priesterkönig und hat sie in seinem Parzival verschlüsselt niedergeschrieben«, fasste ich zusammen.
»Ein faszinierender Gedanke, in der Tat! Und Ihr glaubt nun, der Großmeister habe einen seiner Ordensritter nach Rom geschickt, um herauszufinden, ob es tatsächlich eine Verbindung zwischen den Templern und dem Priesterkönig Johannes gab?«
»Ja, davon bin ich überzeugt. Vergesst nicht: Wir reden vom Infante von Portugal. Dem größten Kreuzritter des ›Ordem de Nosso Senhor Jesu Cristo‹. Vermutlich sollte der Assassino im Geheimarchiv unter anderem geografische Berichte sammeln, die es den Kapitänen des Ordens ermöglichen würden, die ›Terra do Preste João‹ auf dem Seeweg um die Südspitze Afrikas zu erreichen.«
Der Papst seufzte erleichtert. »Ihr seid die Tochter Eures Vaters, des Inquisitors von Rom! Ich bin froh, dass ich Euch mit den Untersuchungen des Mordes betraut habe. Denn ich bezweifle, dass meine Inquisitoren einen derart komplizierten Fall hätten aufklären können.«
»Er ist noch nicht aufgeklärt«, mahnte ich ernst. » Ein Rätsel bleibt nach wie vor ungelöst: Was steht in dem aramäischen Papyrus? Die antike Schriftrolle hat in der Lade aus Akazienholz gelegen, die aus dem Pariser Tempel stammt. Der Assassino hat den Papyrus mitgenommen. Aber wieso?«
Eugenius runzelte die Stirn. »Was habt Ihr vor?«
Ich erläuterte ihm meinen Plan.
»Um Himmels willen, Alessandra, das ist viel zu …«
»Tayeb wird mich begleiten. Er freut sich darauf, an den heiligen Stätten des Islam in Jerusalem zu beten. Er wird mich beschützen, wie er es in Alexandria getan hat, als wir unseren spektakulären Fund machten.«
»Alessandra, mein Kind!«, beschwor er mich. »Ihr stürzt Euch wieder einmal in ein lebensgefährliches Abenteuer, um den Schmerz und die Trauer um Eure verlorene Liebe zu vergessen. Um Euch nach all den Monaten endlich wieder lebendig zu fühlen. Aber das ist Irrsinn! Als Euer Freund und als Euer Papst verbiete ich Euch, nach Jerusalem zu …«
»Wollt Ihr mich exkommunizieren, wenn ich Euch nicht gehorche? Soll ich Euren Sekretär rufen, damit er Euch die silberne Glocke, die Kerze und die Heilige Schrift bringt?« Ich senkte die Stimme. »Heiliger Vater, ich werde nach Jerusalem reisen! Und wenn Ihr nicht nur mein Papst, sondern auch mein Freund seid, werdet Ihr mich nicht aufhalten!«
»Erwartet Ihr allen Ernstes, dass ich Ja und Amen sage und Euch meinen Segen gebe,
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