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Der Gottesschrein

Der Gottesschrein

Titel: Der Gottesschrein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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diesem Labyrinth zu graben? Ist die antike Handschrift eine Schatzkarte? Oder ist sie …
    Tayeb bleibt plötzlich stehen, zieht den Schleier vom Gesicht und lauscht mit geneigtem Kopf.
    »Der Assassino?«, wispere ich atemlos.

· Yared ·
Kapitel 2
    Auf dem Davidsturm der Zitadelle
    16. Dhu’l Hijja 848, 19. Nisan 5205
    Karfreitag, 26. März 1445
    Eine halbe Stunde nach Mitternacht

    »Führe uns in die Freiheit, Yared, Prinz von Ägypten«, hat Benyamin gesagt. »Und schenke uns den lang ersehnten Frieden!«
    Gemächlich steige ich die Stufen zur Plattform des Davidsturms empor, wo mich der kühle Nachtwind umfängt, und lausche auf das trunkene Gelächter der Mamelucken, die ich im Empfangssaal des Emirs zurückgelassen habe.
    Fröstelnd ziehe ich meine Djellabiya enger um mich, schlendere durch den kleinen Garten auf dem Festungsturm und betrachte die erleuchtete Zitadelle zu meinen Füßen – die zinnenbewehrten Wehrmauern, die mit Schwalbennestern bekränzten Türme und die kleine Moschee. Schon vor Stunden, nachdem in einem feurigen Inferno aus purpurnem und violettem Licht die Sonne untergegangen ist, hat der Muaddin die Gläubigen zum Nachtgebet gerufen.
    Zwischen den duftenden Myrtenbüschen hindurch gehe ich auf die andere Seite des Davidsturms.
    Ich will allein sein. Ich muss nachdenken, bevor ich diese unvermeidliche Entscheidung treffe. Erst jetzt, da ich nach all den Jahren endlich in Jeruschalajim angekommen bin, kann ich diesen Gedanken, der mich seit Monaten nicht mehr zur Ruhe kommen lässt, zu Ende denken. Noch vor wenigen Wochen, in Mekka und Medina, war es mir unmöglich.
    Dies ist die Nacht der Entscheidung.
    In der Ferne schlägt verhalten die Glocke der Grabeskirche.
    Eine halbe Stunde nach Mitternacht.
    Gegen die Brüstung gelehnt, blicke ich über die Dächer des armenischen und des jüdischen Viertels hinweg zum Tempelberg.
    Unablässig zucken Blitze über den Himmel und lassen die Klagemauer in gleißendem Licht erstrahlen. Darüber glänzt die goldene Kuppel des Felsendoms. Sturmzerfetzte Wolken, die von innen heraus in Purpur, Gelb und Violett aufleuchten, fegen über den schwarzkristallenen Himmel.
    Der Gewittersturm, der sich jenseits des Ölbergs entlädt, tobt auch in meinem gequälten Gewissen.

    »Der Trunk der Freiheit!«, murmelte Benyamin in seinen Becher, nachdem wir den Kiddusch über den Wein gesprochen hatten. Das war vor fünf Tagen. Am Sederabend.
    Nach meiner Hadj nach Mekka – so nannte Uthman meine Pilgerreise, die letztlich eine aufwendig inszenierte Bekehrung zum Islam war – waren Benyamin und ich an diesem 14. Nisan in Jeruschalajim angekommen. Dem rituellen Sedermahl gaben wir den Anschein eines fröhlichen Gelages mit engen Freunden, die glücklich waren, endlich ans Ziel ihrer Träume gelangt zu sein.
    Benyamin stellte seinen Becher auf das weiße Damasttuch, das zwischen uns ausgebreitet lag, und ließ sich seufzend in die Kissen seines Ruhelagers sinken. Der Empfang durch den Vizekönig am Davidsgrab und der Einzug nach Jeruschalajim hatten ihn ebenso ermüdet wie mich.
    »Pessach in Jeruschalajim!«, murmelte er mit leuchtenden Augen, strich sich über den Bart und lauschte auf den Klang seiner Worte. Mein Freund sprach Arabisch mit dem kastilischen Akzent von Isbiliya, das die Christen seit der Reconquista Sevilla nennen. »Wenn du mir vor sechs Wochen in Mekka prophezeit hättest, dass wir zum Pessachfest in Jeruschalajim sein würden – ich hätte dir nicht geglaubt.« Er räkelte sich auf den seidenen Kissen. »Stell dir vor, Yared, an diesem Pessach werden wir zum ersten Mal in unserem Leben nicht sagen: ›Leschana haba be’Jeruschalajim – Nächstes Jahr in Jeruschalajim!‹ Denn wir sind endlich angekommen! Ein Traum ist in Erfüllung gegangen. Ein Traum, den ich nicht mehr zu träumen wagte, seit wir beide aus Gharnata geflohen sind. Und deine messianische Vision wird hoffentlich ebenso Wirklichkeit werden!«
    Ich wusste, was er meinte. Aber ich schwieg.
    Saphira kniete sich neben mich und bot mir eine silberne Schale mit kühlem, nach Orangenblüten duftendem Wasser dar, damit ich mir vor dem Mahl die Hände wusch. Dann reichte sie mir ein Tuch, an dem ich mir die Finger trocknete. Dabei glitt ihr Blick über das schlichte Gewand aus Wolle, das ich an diesem Abend anstelle einer Djellabiya aus bestickter Seide und Brokat trug.
    Benyamin und ich hatten es nicht gewagt, dem Ritus des Sederabends gemäß unsere Totengewänder anzulegen. Nach

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