Der Graf von Monte Christo 1
wolltest du als Soldat mit mir machen, einer armen, verlassenen Waise, die nichts besitzt als eine fast verfallene Hütte mit einigen abgenutzten Netzen an der Wand, die mein Vater meiner Mutter und meine Mutter mir als elendes Erbteil hinterlassen hat? Seit ihrem Tod, seit einem Jahr also, Ferdinand, bedenke doch, lebe ich fast von der öff entlichen Mildtätigkeit! Manchmal tust du, als ob ich dir nützlich wäre, um das Recht zu haben, deinen Fang mit mir zu teilen, und ich nehm’s an, Ferdinand, weil du der Sohn von meines Vaters Bruder bist, weil wir zusammen aufgewachsen sind, und vor allem, weil es dich betrüben würde, wenn ich dich zurückwiese. Aber ich fühl’s wohl, Ferdinand, daß die Fische, die ich verkaufen gehe und für deren Ertrag ich den Hanf kaufe, den ich spinne, ich fühle wohl, Ferdinand, daß sie eine milde Gabe sind.«
»Was macht das alles, Mercedes? Arm und alleinstehend, wie du bist, gefällst du mir besser als die Tochter des stolzesten Reeders oder des reichsten Bankiers von Marseille! Was braucht denn unsereiner?
Eine ehrbare Frau und eine gute Haushälterin. Und wo fände ich beides besser als in dir?«
»Ferdinand«, antwortete Mercedes, den Kopf schüttelnd, »man wird eine schlechte Hausfrau und kann nicht dafür bürgen, eine ehrbare Frau zu bleiben, wenn man jemand anders als seinen Gatten liebt. Begnüge dich mit meiner Freundschaft, denn, ich wiederhole dir’s, weiter kann ich dir nichts versprechen, und ich verspreche nur, was ich sicher bin, geben zu können.«
»Ja, ich verstehe«, sagte Ferdinand; »du trägst dein Elend geduldig, hast aber Furcht vor dem meinen. Nun sieh, Mercedes, von dir geliebt, werde ich das Glück versuchen; du wirst mir Glück bringen, und ich werde reich werden. Ich kann meine Fischerei vergrößern, kann als Angestellter bei einem Kaufmann eintreten, kann selbst Kaufmann werden!«
»Das alles kannst du nicht, Ferdinand; du bist Soldat, und wenn du bei den Kataloniern bleiben darfst, so nur deshalb, weil kein Krieg ist. Bleib also Fischer; gib dich keinen Träumen hin, die dir die Wirklichkeit nur noch schrecklicher erscheinen lassen würden, und begnüge dich mit meiner Freundschaft, da ich dir nichts anderes geben kann.«
»Gut, du hast recht, Mercedes, ich werde Seemann werden; statt der Tracht unserer Väter, die du geringschätzt, werde ich einen lak-kierten Hut, ein gestreiftes Hemd und eine blaue Weste mit Ankern auf den Knöpfen tragen. Muß man nicht so gekleidet sein, um dir zu gefallen?«
»Was willst du damit sagen?« fragte Mercedes mit stolzem Blick.
»Ich verstehe dich nicht.«
»Ich will damit sagen, Mercedes, daß du nur so hart und grausam gegen mich bist, weil du auf jemand wartest, der so gekleidet ist.
Aber der, auf den du wartest, ist vielleicht unbeständig, und wenn er’s nicht ist, so ist’s das Meer.«
»Ferdinand«, rief Mercedes, »ich hielt dich für gut, aber ich habe mich getäuscht! Nun wohl, ja, ich verstelle mich nicht, ich erwarte und liebe den, von dem du sprichst, und wenn er nicht zurückkommt, so werde ich eher glauben, daß er gestorben, als daß er mir untreu geworden ist.«
Der junge Katalonier machte eine wütende Gebärde.
»Ich verstehe dich, Ferdinand; du willst ihm die Schuld dafür beimessen, daß ich dich nicht liebe; willst dein katalonisches Messer mit seinem Dolche kreuzen! Wozu würde dir das dienen? Meine Freundschaft zu verlieren, wenn du besiegt wirst, oder meine Freundschaft sich in Haß verwandeln zu sehen, wenn du Sieger bist! Glaub’s mir, Streit mit einem Manne zu suchen, ist ein schlechtes Mittel, um derjenigen zu gefallen, die diesen Mann liebt. Nein, Ferdinand, du wirst dich nicht so von deinen schlechten Gedanken hinreißen lassen. Da du mich nicht zur Frau haben kannst, wirst du dich damit begnügen, mich zur Freundin und Schwester zu haben; und übrigens«, fügte sie unruhig und mit Tränen in den Augen hinzu, »warte, warte, Ferdinand: du hast soeben gesagt, das Meer sei treulos, und es sind schon vier Monate her, daß er fort ist; seit vier Monaten habe ich viele Stürme gezählt!«
Ferdinand blieb unbewegt, während Mercedes die Tränen über die Wangen liefen. Er hätte für jede dieser Tränen sein Blut gegeben; aber diese Tränen fl ossen für einen andern.
Er stand auf, schritt durch die Hütte, kam zurück und blieb fi nstern Auges und mit krampfhaft geballten Händen vor Mercedes stehen.
»Höre, Mercedes«, sagte er, »noch einmal: Ist es dein
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