Der Graf von Monte Christo
Bertuccio entfernte sich.
Alles Entzücken eines Mädchens, das einen geliebten Vater wiedersieht, die ganze wahnsinnige Freude einer Liebenden, deren angebeteter Geliebte wiederkehrt, fühlte Haydee während der ersten Augenblicke dieser von ihr so ungeduldig erwarteten Rückkehr.
Wenn auch weniger laut sich äußernd, war darum die Freude Monte Christos doch nicht minder groß; für die Herzen, die lange gelitten haben, ist die Freude, was der Tau für die Erde, wenn die Sonne sie ausgetrocknet hat. Seit einigen Tagen begriff Monte Christo etwas, woran er lange nicht zu glauben wagte, daß es nämlich zwei Mercedes auf der Welt gab, daß er noch glücklich sein könnte.
Sein von Wonne entflammtes Auge tauchte sich sehnsuchtsvoll in Haydees feuchte Blicke, als plötzlich die Tür sich öffnete. Der Graf faltete die Stirn.
Herr von Morcerf! sagte Baptistin, als ob dieses einzige Wort seine Entschuldigung enthielte.
Das Antlitz des Grafen hellte sich in der Tat auf.
Welcher? sagte er, der Vicomte oder der Graf?
Mein Gott! rief Haydee, ist es denn noch nicht zu Ende!
Ich weiß nicht, ob es zu Ende ist, vielgeliebtes Kind, sagte Monte Christo, das Mädchen bei den Händen fassend; aber ich weiß, daß du nichts zu fürchten hast.
Oh! es ist doch der Elende ...
Dieser Mensch vermag nichts über mich, Haydee, nur von seinem Sohne hattest du etwas zu fürchten.
Wie habe ich auch gelitten, du wirst es nie erfahren, Herr.
Monte Christo lächelte und sagte, die Hand über dem Haupte des Mädchens ausstreckend: Bei dem Grabe meines Vaters schwöre ich dir, Haydee, wenn Unglück geschieht, so widerfährt es nicht mir.
Ich glaube dir, Herr, als ob Gott zu mir spräche, sagte das junge Mädchen und reichte dem Grafen seine Stirn. Monte Christo drückte auf diese reine und schöne Stirn einen Kuß, der zwei Herzen heftiger schlagen ließ.
Oh, mein Gott! solltest du es denn gestatten, daß ich noch einmal lieben könnte? murmelte der Graf und führte die schöne Griechin zu einer Geheimtreppe, während er zu Baptistin sagte: Lassen Sie den Grafen von Morcerf in den Salon treten.
Während Mercedes in ihrer Wohnung ihre Juwelen zusammenlegte, ihre Schubladen verschloß, ihre Schlüssel sammelte, um alles in Ordnung zurückzulassen, bemerkte sie nicht, daß ein bleicher, düsterer Kopf an der Glasscheibe einer Tür erschien, der, ohne gesehen zu werden, alles gewahrte, was drinnen vorging.
Von dieser Glasscheibe begab sich der Mann mit dem bleichen Gesichte in das Schlafzimmer des Grafen von Morcerf, wo er mit krampfhafter Hand den Vorhang eines auf den Hof gehenden Fensters aufhob. Er blieb zehn Minuten unbeweglich, stumm, auf die Schläge seines Herzens horchend.
Da kam Albert zurück, bemerkte, daß sein Vater seine Rückkehr hinter einem Vorhang beobachtete, und wandte den Kopf ab. Das Auge des Grafen erweiterte sich; er wußte, daß Albert den Grafen furchtbar beleidigt hatte und daß eine solche Beleidigung in allen Ländern der Welt einen Zweikampf auf Leben und Tod nach sich zog. Albert kehrte aber unversehrt zurück, und er selbst war folglich gerächt.
Ein Blitz unbeschreiblicher Freude erleuchtete sein finsteres Antlitz; aber vergebens hoffte er, sein Sohn werde in sein Zimmer kommen, ihm seinen Triumph mitzuteilen.
Da ließ der Graf Alberts Diener holen, den, wie erwähnt, sein Herr ermächtigt hatte, nichts vor dem Grafen zu verbergen.
Zehn Minuten nachher sah man auf der Freitreppe den General von Morcerf in einem schwarzen Oberrocke, mit schwarzen Beinkleidern und schwarzen Handschuhen erscheinen.
Er hatte ohne Zweifel vorher seine Befehle gegeben, denn kaum berührte er die letzte Stufe der Treppe, als sein Wagen vorfuhr. Sein Kammerdiener warf zwei umhüllte Degen in den Wagen; dann schloß er den Schlag und setzte sich neben den Kutscher.
Nach den Champs-Elysées, rief der General, zu dem Grafen von Monte Christo. Rasch!
Die Pferde bäumten sich unter dem Peitschenschlage und hielten nach fünf Minuten vor dem Hause des Grafen. Herr von Morcerf öffnete selbst den Schlag, sprang, während der Wagen noch rollte, wie ein junger Mensch in die Allee, läutete und verschwand mit seinem Diener in der Tür.
Eine Sekunde später meldete Baptistin Herrn von Monte Christo den Grafen von Morcerf, und Monte Christo gab, Haydee zurückführend, den Befehl, den Grafen von Morcerf in den Salon treten zu lassen. Der General maß zum dritten Male den Salon in seiner ganzen Länge, als er, sich umwendend, Monte
Weitere Kostenlose Bücher