Der Graf von Monte Christo
schleuderte Monte Christo einen halb verächtlichen, halb zornigen Blick zu.
Vorwärts! sagte der Graf.
Ehe Sie von uns gehen, Herr Graf, sagte Julie, erlauben Sie uns, alles das auszudrücken, was einst ...
Gnädige Frau, erwiderte der Graf, sie bei beiden Händen fassend, alles, was Sie mir sagen würden, käme nicht dem gleich, was ich in Ihren Augen lese; was Ihr Herz gedacht, hat das meinige empfunden. Wie die Wohltäter in Romanen hätte ich, ohne Sie wiederzusehen, abreisen müssen; doch diese Tugend ging über meine Kräfte, weil ich ein schwacher und eitler Mensch bin, weil der feuchte, freudige, zärtliche Blick von meinesgleichen nur wohltut ... Nun reise ich ab, ich treibe die Selbstsucht so weit, daß ich sage: Meine Freunde, vergeßt mich nicht, denn ihr werdet mich wahrscheinlich nie wiedersehen.
Nicht wiedersehen! rief Emanuel, während zwei schwere Tränen über Julies Wangen rollten; nicht wiedersehen?
Indem der Graf an seine Lippen die Hand Julies drückte, die sich in seine Arme stürzte, reichte er die andere Emanuel; dann entriß er sich diesem Hause, einem weichen Neste, dessen Wirt das Glück war, und zog durch ein Zeichen den seit Valentines Tode stets unempfindlichen, leidenden, in Gedanken versunkenen Maximilian nach sich.
Geben Sic meinem Bruder die Freude wieder! flüsterte Julie Monte Christo zu.
Monte Christo drückte ihr die Hand, wie er sie ihr elf Jahre vorher auf der Treppe, die zu Morels Kabinett führte, gedrückt hatte.
Vertrauen Sie Simbad dem Seefahrer? fragte sie lächelnd der Graf.
Oh, ja.
Wohl! So schlafen Sie im Frieden und im Glauben an den Herrn.
Unten an der Freitreppe wartete Ali mit schweißglänzendem Gesicht; er schien von einem langen Gange zu kommen.
Nun? fragte ihn der Graf in arabischer Sprache, bist du bei dem Greise gewesen?
Ali machte ein bejahendes Zeichen.
Und du hast ihm den Brief vorgelegt, wie ich dir befohlen?
Ja, sagte ehrfurchtsvoll der Sklave.
Und was hat er gesagt oder vielmehr getan?
Ali stellte sich so unter das Licht, daß ihn sein Herr sehen konnte, und schloß, vortrefflich das Gesicht des Greises nachahmend, die Augen, wie dies Noirtier tat, wenn er ja sagen wollte.
Gut! Er nimmt es an, sagte Monte Christo; brechen wir auf!
Kaum hatte er dieses Wort entschlüpfen lassen, als bereits der Wagen rollte und die Pferde aus dem Pflaster eine Funkenmasse springen ließen.
Maximilian legte sich in seine Ecke, ohne ein Wort zu sprechen. Es verging eine halbe Stunde: der Wagen hielt plötzlich an; der Nubier stieg ab und öffnete den Schlag. Die Nacht funkelte von Sternen. Man war oben an der Anhöhe von Villedejuif, auf der Hochebene, von wo aus Paris wie ein düsteres Meer seine Millionen von Lichtern bewegt, die phosphoreszierenden Wellen gleichen.
Der Graf blieb allein, und auf ein Zeichen fuhr der Wagen ein paar Schritte weiter. Lange betrachtete er mit gekreuzten Armen schweigend das Babylon zu seinen Füßen. Dann sagte er, die Hände wie zum Gebete faltend:
Große Stadt! Es sind weniger als sechs Monate, daß ich durch deine Tore eingetreten bin. Ich glaube, daß mich der Geist Gottes zu dir geführt hat, triumphierend führt er mich von dir zurück. Das Geheimnis meiner Gegenwart in deinen Mauern habe ich diesem Gotte anvertraut, der allein in meinem Herzen zu lesen vermochte; er allein weiß, daß ich mich ohne Haß und ohne Stolz, doch nicht ohne Bedauern entferne! Er allein weiß, daß ich nicht meinetwegen und nicht um eitler Ursache willen von der Macht, die er mir anvertraut, Gebrauch gemacht habe. Oh, große Stadt! In deinem zitternden Schoße habe ich gefunden, was ich suchte; ein geduldiger Gräber, durchwühlte ich deine Eingeweide, um das Böse daraus hervorzutreiben; nun ist mein Werk erfüllt, meine Sendung beendigt; nun kannst du mir weder Freude, noch Schmerzen mehr bieten, Gott befohlen, Paris!
Sein Blick schwebte noch einmal wie der eines nächtlichen Geistes über die Ebene hin. Dann fuhr er mit der Hand nach der Stirn, stieg wieder in seinen Wagen, der bald auf der andern Seite der Anhöhe in einem Wirbel von Staub verschwand.
Das Haus in den Allées de Meillan.
Sie legten zehn Stunden zurück, ohne ein Wort zu sprechen, Morel träumte, Monte Christo schaute den Träumer an.
Morel, sagte der Graf endlich zu ihm, sollten Sie bereuen, daß Sie mir gefolgt sind?
Nein, Herr Graf, doch Paris verlassen ...
Hätte ich geglaubt, das Glück erwarte Sie in Paris, so würde ich Sie dort gelassen haben.
In
Weitere Kostenlose Bücher