Der Graf von Monte Christo
Gesichtszüge des Beamten, den wilden Glanz seiner Augen wahrnahm, begriff er, oder glaubte er zu begreifen, daß die Szene vor dem Schwurgericht sich abgespielt hatte; das übrige wußte er nicht.
Ich bin damals gekommen, um bei dem Leichnam Ihrer Tochter zu beten, antwortete Busoni.
Und warum kommen Sie heute hierher?
Ich komme, um Ihnen zu sagen, daß Sie Ihre Schuld hinreichend bezahlt haben, und daß ich von diesem Augenblicke an Gott bitten werde, er möge zufrieden sein, wie ich.
Mein Gott! rief Villefort erschreckt zurückweichend, diese Stimme ist nicht die des Abbés Busoni!
Nein.
Der Abbé riß seine falsche Tonsur ab, schüttelte den Kopf, und seine langen, schwarzen Haare fielen, vom Zwange befreit, auf seine Schultern herab und umrahmten sein männliches Antlitz.
Es ist das Gesicht des Herrn von Monte Christo, rief Villefort mit stieren Augen.
Auch das ist es nicht, Herr Staatsanwalt, suchen Sie besser und ferner.
Diese Stimme! Diese Stimme! Wo habe ich sie zum ersten Male gehört?
Sie haben sie zum ersten Male in Marseille gehört vor einundzwanzig Jahren, am Tage Ihrer Verlobung mit Fräulein von Saint-Meran. Suchen Sie in Ihren Akten!
Sie sind nicht Busoni? Sie sind nicht Monte Christo? Mein Gott, Sie sind jener verborgene Todfeind! Ich habe in Marseille etwas gegen Sie getan, oh! wehe mir!
Ja, du hast recht, sagte der Graf, die Arme über seiner breiten Brust kreuzend; suche! suche!
Aber was habe ich dir denn getan? rief Villefort, dessen Geist bereits auf der Grenze schwebte, wo sich Vernunft und Unvernunft vermengen und der Wahnsinn droht, was habe ich dir getan? Sage! Sprich!
Sie haben mich zu einem langsamen, gräßlichen Tode verurteilt, Sie haben meinen Vater getötet, Sie haben mir mit der Freiheit die Liebe und mit der Liebe das Glück geraubt!
Wer sind Sie? Mein Gott! Wer sind Sie denn?
Ich bin das Gespenst eines Unglücklichen, den Sie in dein Kerker des Schlosses If begraben haben. Diesem aus seinem Grabe hervorgegangenen Gespenst hat Gott die Maske des Grafen von Monte Christo gegeben, er hat es mit Diamanten und Gold bedeckt, damit Sie es erst heute erkennen sollen.
Ah! Ich erkenne dich, ich erkenne dich! sprach der Staatsanwalt; du bist ...
Ich bin Edmond Dantes!
Du bist Edmond Dantes! rief der Staatsanwalt, den Grafen beim Handgelenke fassend, so komm.
Und er zog ihn nach der Treppe, zu der ihm Monte Christo, ohne zu wissen, wohin ihn der Staatsanwalt führte, aber eine neue Katastrophe ahnend, folgte.
Sieh, Edmond Dantes, sagte er, dem Grafen den Leichnam seiner Frau und den Körper seines Sohnes zeigend; sieh hier! Bist du gerächt?
Monte Christo erbleichte bei diesem furchtbaren Schauspiel; er begriff, daß er die Rechte der Rache überschritten hatte; er begriff, daß er nicht mehr sagen konnte: Gott ist für mich und mit mir.
Er warf sich mit einer Empfindung unaussprechlicher Angst auf den Körper des Kindes, öffnete seine Augen, befühlte seinen Puls und stürzte mit ihm in Valentines Zimmer, das er doppelt schloß.
Mein Kind, rief Villefort, er trägt den Leichnam meines Kindes fort! Oh! Fluch! Unglück! Tod über dich!
Und er wollte Monte Christo nachstürzen; aber er fühlte, daß seine Füße wie in einem Traume Wurzel faßten, seine Augen erweiterten sich, als wollten sie ihre Höhlen sprengen. Die Adern seiner Schläfen schwollen an.
Diese Starrheit dauerte mehrere Minuten, bis die gräßliche Umwälzung der Vernunft vollbracht war. Dann stieß er einen Schrei aus, schlug ein langes Gelächter an und stürzte nach der Treppe.
Eine Viertelstunde nachher öffnete sich das Zimmer Valentines wieder, und der Graf von Monte Christo erschien auf der Schwelle. Er war bleich, sein Auge finster, seine Brust gepreßt. Alle Züge des sonst so ruhigen Gesichtes waren vom Schmerz verstört.
Er hielt in seinen Armen das Kind, dem keine Hilfe das Leben hatte zurückgeben können.
Der Graf setzte ein Knie auf die Erde und legte den Knaben mit frommer Gebärde neben seiner Mutter so nieder, daß sein Kopf auf ihrer Brust ruhte.
Dann stand er auf, ging hinaus und fragte einen Bedienten: Wo ist Herr von Villefort?
Der Bediente streckte, ohne zu antworten, die Hand nach dem Garten aus. Monte Christo stieg die Treppe hinab, schritt auf den bezeichneten Ort zu und sah mitten unter seinen Dienern Villefort, der, einen Spaten in der Hand, die Erde mit einer Art von Wut durchwühlte und vor sich hinmurmelte: Es ist noch nicht hier, es ist noch nicht hier!
Monte
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