Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika (German Edition)
anderen Hauptstädten der Dritten Welt. Das war mir gerade recht. Ich konnte Großstädte sowieso nicht leiden.
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Mama Negra
Mark stellte seine Tasche in sein Zimmer. Wir gingen auf ei nen Kaffee in das Cafe des Gran Casino hinunter. Ich erwähnte, dass an diesem Nachmittag in der 50 Kilometer südlich von Qui to gelegenen Stadt Latacunga eine Fiesta namens „Mama Negra“ stattfinden sollte.
Mark war scharf darauf, denn da die Pilze jeglichen Jet-Lag auf wogen, war er jetzt in Party-Laune.
Der Bus war voller lachender und witzelnder Teenager, die ihre besten Sachen trugen. Mark saß neben zwei hübschen Mädchen, die sich in tief ausgeschnittene Kleider gepresst hatten. Sie hat ten rubinrote Schleifen im Haar, rubinrote Lippen und rubinrote Pumps, die offensichtlich nagelneu waren. Er bot ihnen ein paar Bonbons an. Sie kicherten.
„Wie’s aussieht, hast du schon gepunktet“, sagte Melissa. Wir erreichten Latacunga. Die Stadt bestand hauptsächlich aus Betonquadern, wie sie für die ecuadorianischen Anden typisch sind. Stahlträger standen aus den flachen Dächern hervor, als er warteten sie den Bau weiterer Stockwerke. Ein Ende der Haupt straße wurde von einer gewaltigen Markthalle beherrscht, die aussah wie ein Hangar; der symmetrische Vulkankegel des Coto paxi ragte unheilvoll über der Stadt. Mit seinen 5897 Metern gilt der Cotopaxi als der höchste aktive Vulkan der Welt: 1742, 1768 und 1877 wurde die Stadt von seinen Eruptionen begraben und jedes Mal von ihren stoischen (oder besser „unklugen“) Einwoh nern wieder aufgebaut.
Die Straßen wimmelten von Männern mit Baseball-Mützen und korpulenten Frauen mit schweren Röcken und roten Schals. Ihr pechschwarzes Haar war in der Mitte gescheitelt und in zwei Flä chen geteilt, was sogar der betagtesten Großmutter einen unpas senden Mädchen-Look verlieh. 1 Wir fanden eine Stelle, von wo aus wir alles sehen konnten, was nicht allzu schwierig war, da Mark und ich den größten Teil der Menge schon um einen Kopf überragten.
--- 1 Diese Kleidung und Haartracht wurde im 18. Jahrhundert von König Karl dem III. von Spanien eingeführt; er hatte sie der damaligen Tracht der spanischen Bauern nachempfunden.
Vor uns erweckten Geräusche und Farben die graue Straße zum Leben. Eine Prozession aus hupenden, marschierenden Bands und Straßentänzerinnen schwankte betrunken vorüber und versch wand um eine Ecke.
Die Männer trugen geschnürte Hemden und Ponchos und tanzten in einer Reihe gegenüber den Frauen, die mit den Hän den ihre Röcke rafften und sie hin und her wirbelten. Alle wirk ten nach Stunden ununterbrochenen Tanzens erschöpft. Jede Gruppe wurde von ein paar Männern in Umhängen begleitet, die mit gespielter Wildheit mit Peitschen schnalzten. Sie liefen bedrohlich auf jeden zu, der der Prozession in den Weg lief, um ihn zu küssen. Andere kostümierte Figuren mischten sich un ter die Tänzer: Dämonen, Sklaven, napoleonische Soldaten und merkwürdige maskierte Gestalten, die man Huacos nannte. Sie waren ganz in weiß gekleidet und erinnerten mich an olympische Fechter, nur dass sie keine Degen schwangen, sondern Schilder, die mit Glasscherben, Spiegeln, Streichholzschachteln, Medaillen, Buttons, usw. geschmückt waren.
„Mama negra“ bedeutet wörtlich „schwarze Mutter“. Die Fei erlichkeiten drehten sich um die Parade mit einer Statue einer schwarzen Jungfrau. Wie es kommt, dass man in dieser ganz von Quechua bewohnten Stadt eine schwarze Jungfrau verehrt, blieb uns allerdings ein Rätsel. Eine Erklärung war, dass sie die endgül tige Vertreibung der Araber aus Spanien im Jahr 1492 symboli sierte. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, weshalb die Einwoh ner von Latacunga ausgerechnet dieses Ereignis feierten. Jedenfalls war dies keine düstere christliche Parade, sondern eine heidnische Orgie zur Feier einer komplexen allegorischen Welt fremdartiger Kulte und Geister. Die Spanier hatten wohl versucht, die Religion auszurotten, die sie in den Anden vorfan den, aber tatsächlich war es ihnen lediglich gelungen, sie in eine andere Form zu lenken, da die Indios die christlichen Symbole mit anderen Bedeutungen füllten. 2
--- 2 z.B. ist Jesus identisch mit dem Sonnengott der Inka; die Jungfrau Maria mit dem Mond oder mit Pachamama, der Erdgöttin der Anden. Der Inka-Gott des Donners wurde mit dem Heiligen Jakobus von Santiago identifiziert, dem
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