Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika (German Edition)
einmal waren wir mitten im Nirgendwo und unsere Bewaffnung war weit unterlegen. Melissa gewöhnte sich wohl allmählich an solche Situationen, denn sie bat mich nicht einmal mehr um mein Taschenmesser.
Wir erreichten das Büro des Parks gerade noch rechtzeitig, um eine Mitfahrgelegenheit auf der Ladefläche eines leeren Lasters zu bekommen. Als der LKW die Straße entlang raste, bemerkten wir, dass die Ladefläche an den Seiten offen war und nichts bot, woran man sich festhalten konnte. In jeder Kurve wurden wir über die offene Plattform geschleudert. Die Äquator-Sonne ging feuerrot hinter den armen kleinen Bauernhöfen am Straßenrand und dem sie umgebenden Dschungel unter, aber wir waren zu sehr damit beschäftigt, auf dem LKW zu bleiben, um allzu viel aufzunehmen.
TEIL 3
KOLUMBIEN
„Der Mord durch Armut an den Menschen in Lateinamerika vollzieht sich im Stillen; jedes Jahr explodieren lautlos drei Hiro shima-Bomben über Gemeinden, die sich daran gewöhnt haben, mit zusammengebissenen Zähnen zu leiden. Diese systematische Gewalt ist nicht offensichtlich, aber sie ist wirklich und nimmt ständig zu; ihre Völkermorde werden nicht in der Sensationspresse bekanntgemacht, sondern in den Statistiken der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen.“
Open Veins of Latin America, Eduardo Galaeno
Kapitel 5
Das Hochland : Cowboys und Indianer
Locombia
„Wie war’s im Dschungel?“ Mark stand neben dem Billardtisch im Gran Casino 2, wie er versprochen hatte, und rieb Kreide auf seinen Queue. Er stellte uns seinen Gegner vor, einen abgerissenen, langhaarigen Neu seeländer, der Campbell hieß. Ich bestellte an der Bar ein paar Drinks. Hinter mir hörte ich einen dumpfen Schlag; ich drehte mich um und sah Campbell, der bewusstlos neben dem Billard tisch auf dem Boden lag, den Queue in seiner Hand. Alle anderen in der Bar drehten sich ebenfalls zu ihm um. Mark zog ihn an die frische Luft hinaus.
„Zuviel Dope“, erklärte Mark.
Wir verbrachten ein paar Tage in Quito. Mark beschloss, dass er eine Weile allein in Ecuador verbringen würde. Er und Campbel wol ten eventuel Vilcabamba in Südecuador besuchen. Unter Ruck sacktouristen war diese Stadt berühmt für den halluzinogenen San- Pedro-Kaktus. Wir vereinbarten, uns in einem Monat in Barranquil la an der Nordküste Kolumbiens zum Karneval zu treffen.
„Wir gehen nach Kolumbien“, sagte ich zu Melissa. Das war – endlich – mal ein Land, von dem Melissa tatsächlich schon gehört hatte.
„Kolumbien?“, fragte sie. „Ist das nicht ein bisschen, äh, gefährlich?“ Mit durchschnittlich 30.000 Morden pro Jahr – einem Zehn tel aller Morde weltweit – hat Kolumbien die höchste Mordrate der Welt: Sie ist neunmal so hoch wie in den USA. Kolumbien kontrolliert 80 Prozent des Kokainhandels der Welt. Hier gibt es zehn Guerilla-Gruppen, die zusammengenommen die größ te Guerilla-Bewegung des Kontinents bilden. Hier hat der blu tigste Krieg des Kontinents noch in den 1950er und 1960er Jah ren 300.000 Tote gefordert. Hier gibt es Kokain-Dealer, die einem Drogen verkaufen und sich dann als Polizisten entpuppen. Hier sollen Diebe angeblich eine geschmacklose und geruchlose Dro ge, Burundanga , in Süßigkeiten oder Zigaretten injizieren und sie arglosen Touristen anbieten, die sich zwei Tage später ohne Geld, Kreditkarten und Kleider in einem Straßengraben wiederfinden. Manche Opfer, so das Gerücht, wachten mit einer fehlenden Nie re auf. Gefährlich? Wie kam sie nur darauf?
Als wir die Grenze passierten, wendeten wir uns gegenseitig den Rücken zu, um unsere Gegner rechtzeitig sehen zu können.
Nichts geschah. Wir sahen uns an und hielten die Luft an. Dann nahmen wir einen Bus nach Ipiales, der ersten kolumbianischen Stadt, und suchten ein Hotel. Wir checkten ein und gingen dann zum Essen in die Stadt. Es geschah immer noch nichts. Wir gin gen zu Bett und wachten mit unserer normalen Ausstattung an inneren Organen wieder auf. Am nächsten Tag besuchten wir Las Lajas, eine Neugotische Kirche, die mitten in einer dramatischen Schlucht stand. Sie war auf allen örtlichen Touristen-Postern prä sent und zweifellos Schauplatz eines Wunders gewesen. Trotzdem passierte nichts. Niemand schoss auf uns, bedrohte uns, hielt uns auf oder versuchte, uns Zigaretten anzubieten – mit oder ohne Betäubungsmittel.
Trotzdem – Kolumbien war anders.
In Ecuador, Peru und Bolivien bildet das Hochland eine Ein
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