Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika (German Edition)
heit: Das Inka-Reich, das alle diese Länder umfasst hatte, hatte die ungefähren Grenzen der indianischen Welt im Hochland der Anden festgelegt. Überall in dieser vorwiegend von den Quechua dominierten Region besteht eine Kontinuität – der Menschen, der Landschaft und der Kultur.
In Kolumbien verändert sich die Landschaft. Die Anden bilden immer noch extreme Hindernisse für Reisende, aber hier sind sie sanfter: Abgerundete, fruchtbare Berge anstelle der schneebe deckten Gipfel. Überall sind Blumen – sie hängen in Körben von Balkonen und stehen neben jedem Zaun. Die Bauernhäuser, an denen wir vorbeikamen, wirkten eher spanisch, mit roten Ziegel dächern und weißgetünchten Wänden.
Anstelle der Campesinas mit ihren Pasteten-Hüten und schwe ren Röcken sahen wir mehr Latino-Gesichter. Die Mädchen wa ren schlanker und hübscher (und wurden noch schlanker und hübscher, je weiter wir nach Norden reisten); sie hatten lange, schwarze Wimpern und fließendes schwarzes Haar. Wir hatten, endlich, das Gefühl, in Latein amerika zu sein.
Dieser Unterschied hat einen historischen Grund. In den ehe maligen Inka-Gebieten hatte es nur eine Handvoll Europäer ge geben, die gewaltige Encomiendas oder lukrative Minen besaßen, aber es hatte nie eine nennenswerte europäische Immigration ge geben. Das gemäßigte Klima Kolumbiens, das fruchtbare Land und die einfache Überfahrt von Europa zog mehr Siedler an, die das Land bebauten, Einheimische heirateten und die heutige vor wiegend aus Mestizos bestehende Gesellschaft hervorbrachten. Kolumbien schien zugleich reicher und westlicher. In Ipiales kleideten sich die Menschen schicker. Es gab mehr Autos, die zu- dem in einem besseren Zustand waren. Es gab Büroblocks mit getönten Scheiben und hochwertigere Produkte in den Läden. Ohne die traditionell gekleideten Campesinos , die schon einen unterdrückten Eindruck machen, wenn sie nur auf den Bus war ten, war der Unterschied zwischen arm und reich weniger offen sichtlich.
Auch in Kolumbien gibt es reichlich Armut, aber man muss ge nauer hinsehen, um sie zu erkennen.
Man muss allerdings nicht allzu genau hinsehen, um zu erken nen, dass die Kolumbianer mit einem Hauch Wahnsinn gesegnet (oder gestraft) sind. In Kolumbien geschehen verrückte Dinge, ohne dass jemand merkt, dass sie verrückt sind. Es ist das Land von Gabriel García Márquez, Kokain, Rum und Salsa. Es ist die Heimat von René Higuita, dem Nationaltorwart, der bei einer Weltmeisterschaft den Ball an der Mittellinie verlor, die näch ste verpasste, weil er wegen Entführung im Gefängnis saß, und schließlich dafür berühmt wurde, dass er in einem Spiel gegen England einen Ball auf der Torlinie durch einen Fallrückzieher rettete.
Im Unterschied zu den phlegmatischen Völkern der Anden er greifen die Kolumbianer jede Gelegenheit, zu lachen, schreien, streiten, feiern, kämpfen und flirten. Sie sind echte, heißblütige Latein amerikaner. Manchmal ändern sie den Namen ihres Lan des in Loco- mbia. In Spanisch bedeutet Loco „verrückt“.
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Eine Stunde in Geographie
Kolumbien hat ein paar Attraktionen auf dem Gringo-Trail, wenn auch ihre Dichte geringer ist. Wie in den weiter südlich gelegenen Ländern verläuft der Trail in nordsüdlicher Rich tung entlang des Rückens der Anden. In Kolumbien teilt sich das Hochland aber in drei nach Norden weisende Finger auf – die Cordilleras Occidental, Central und Oriental. Sie werden von den großen Tälern des Rio Magdalena und des Rio Cauca gespalten – Flüssen, die nach Norden in die Karibik fließen.
Auf jeder Seite dieser zentralen Hochlandgebiete liegen heiße, unbebaute Niederungen. An der Pazifikküste befinden sich die Dschungel und Planta gen des Choco mit seiner vorwiegend schwarzen Bevölkerung. Im Südosten, um Leticia, liegt die obere Spitze des Amazonasgebietes und im Nordosten, versteckt unterhalb von Venezuela, erstreckt sich eine riesige, flache Savanne, die als Los Llanos bekannt ist, das Viehgebiet Kolumbiens. Weit im Norden fällt das Hochland jäh ab in das heiße karibische Küstengebiet, dem Land von Ga briel García Márquez und den historischen Städten Santa Marta und Cartagena. Abgesehen von Leticia werden die östlichen und westlichen Niederungen kaum von Touristen besucht; sie werden weitgehend von Guerillas und Drogenkartellen kontrolliert. Die Straßenver bindungen sind schlecht und können bei Regen unpassierbar werden. Stattdessen tröpfeln
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