Der Gringo Trail: Ein absurd komischer Road-Trip durch Südamerika (German Edition)
stundenlang gelaufen. Eine Ewigkeit. Ich liege auf meiner Matte auf dem Boden in Laureanos Haus und spreize Arme und Beine aus. Ich beobachte das Dach und die Wände, die vor lauter Energie in geometrischen Mustern explodieren, und lausche den fremdartigen Rufen der Nacht. Es ist Morgen. Ich sehe mich benommen um. Ich bin wieder in der normalen Welt. Eigentlich bin ich im Dschungel, aber im Augenblick erscheint mir das ziemlich normal. Laureano bringt uns Frühstück: Reis, Dosenfisch und Bananen, alles gebraten. Jemand gräbt, um einen Obstbaum vor dem Haus zu pflanzen. Wir essen still und denken über den Wald nach.
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Das Universum ist eine einzige grosse Wurst
In einem Antiquariat in Quito hatte ich ein Buch über Schama nismus gekauft. Ich las den anderen daraus vor. „Ein universeller Aspekt des Schamanismus“, las ich, „ist das Gefühl des schlecht hinnigen ‚Lebendig-Seins‘ des Universums. Das ganze Universum lodert vor Energie. Alle Dinge werden als untereinander verbun den wahrgenommen, wobei eine universelle Lebensenergie allem zugrunde liegt.“ 31
---31 Nevill Drury, The Elements of Shamanism
„Eine Uniwurst, die vor Energie lodert? Ja, das ist was ich letzte Nacht fühle“, sagte Herbert in gebrochenem Englisch. „Eine Uniwurst?“, witzelte Mark. „Wird das mit Sauerkraut ser viert?“
„Wot?“ „Soviel ich wot“, begann ich. „Entschuldigung. Soviel ich weiß, ist es bei östlichen Religionen genauso. Sie sagen, alles sei eine Illusion: Vorübergehende Formen der zugrundeliegenden, universellen Lebensenergie.“ „Genau wie in der Quantenphysik: Hier spricht man von einem untereinander verbundenen Universum, in denen Objekte vorü bergehende Arrangements reiner Energie sind“, fügte Mark hinzu. „Wie Fritjov Capra in Das Tao der Physik erklärt.“ „Fritjov?“, sagte Melissa. „Was ist das denn für ein Name? Jeden falls klingt dieses ‚universale‘ Zeug für mich wie Buddhismus.“
„Eben, darum geht’s“, sagte Mark. „Genau das ist es. Schama nismus, Buddhismus, was auch immer. Östliche Religionen haben ebenfalls animistische Wurzeln und betonen – wie der Schama nismus – die unmittelbare Erfahrung. Meditation und die Trance des Schamanen sind lediglich Techniken, um das Ich zu unterdrü cken und die zugrunde liegende Energie wahrzunehmen. Natur. Das Nichts. Atman. Gott. Man kann es nennen, wie man will. Bei einem Trip ist es dasselbe. Mit Acid oder E und dem hypnotischen Pumpen der Rhythmen löst man sich selbst auf, mit vielen Akkord fortschreibungen, die immer wieder aufwärts verlaufen: Das ist die Technik der Schamanen. Dieser Rausch, diese Euphorie. Wisst ihr, westliche Religionen – Judaismus, Christentum – sind die einzigen, die nicht auf dieser Erfahrung beruhen.“ „Worauf basieren sie dann?“, fragte Melissa. „Naja, es gibt mystische jüdische und christliche Traditionen, aber das sind immer Randerscheinungen gewesen. Westliche Re ligionen basieren hauptsächlich auf Texten. ‚Am Anfang war das Wort‘ und so weiter. Das christliche Sakrament – Wein und Brot, Blut und Körper Christi – ist ein leeres Ritual: Eine symbolische Bestätigung des Glaubens. Das Sakrament der Schamanen – z.B. wenn man Aya huasca einnimmt – ist eine direkte Wiederverknüpfung mit der göttlichen, magischen Energie des Universums. Eine Kontaktauf nahme mit der Natur.“
„Vielleicht stammt dieses ganze Ritual mit dem Körper Christi von Schamanen-Ritualen mit Magic Mushrooms – Psilocybin-Pil zen?“, schlug ich vor. „Also das Ritual der Einnahme von Drogen ohne die Droge selbst?“ „Gut möglich. Jedenfalls glaube ich, dass jeder mal einen Funken von dieser Energie abbekommt. Das ist es wahrscheinlich, was wie dergeborene Christen meinen, wenn sie sagen, dass sie vom Heiligen Geist erfüllt sind. Vermutlich ist das auch der Grund, weshalb Men schen, die an der Grenze des Todes standen, oft glauben, sie hätten Gott gesehen. Vielleicht lässt unser Ich los, wenn wir glauben, dass wir kurz vor dem Tod stehen. Im Grunde geht es um die Auflösung des Ich. Sich selbst aufgeben. Verschmelzung mit der Unendlichkeit.“
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Das andere Dureno
Unser Besuch bei den Cofan war zu Ende. Nach dem Frühstück paddelten uns Laureano und Delfin stromabwärts zum anderen Dureno, der Siedlerstadt – einem schäbigen Ort mit einer Straße, die von Baracken mit rostigen Dächern gesäumt war. Ich wollte eine Runde Bier
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