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Der groesste Teil der Welt

Der groesste Teil der Welt

Titel: Der groesste Teil der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Egan
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von einer Karteikarte in den Schoß. Sie sah sehr alt aus, mit rissigen Kanten und einer fast völlig verblassten blauen Linierung. Sasha faltete sie auseinander und las die mit stumpfem Bleistift geschriebene Mitteilung ich glaube an dich. Sie erstarrte, als sie diese Wörter ansah. Sie schienen sich von dem elenden Papierfetzen auf sie zu stürzen und eine Welle des Fremdschämens für Alex mitzubringen, der diese sich auflösende Anerkennung in seiner sich auflösenden Brieftasche aufbewahrt hatte, dann überwältigte sie das Schuldgefühl, weil sie den Fetzen angesehen hatte. Sie nahm entfernt wahr, dass die Wasserhähne des Waschbeckens aufgedreht wurden und sie schnell handeln musste. Eilig, mechanisch, schob sie alles wieder in die Brieftasche und behielt das Stück Papier in der Hand. Ich werde es nur in der Hand halten - sie war sich im Klaren darüber, dass sie sich das nur einredete, als sie das Portemonnaie wieder in Alex’ Hosentasche verstaute. Ich lege den Zettel später zurück, vermutlich erinnert er sich nicht einmal daran, dass es ihn gibt, ich tue ihm sogar einen Gefallen, wenn ich ihn aus dem Weg schaffe, ehe ihn jemand findet. Ich werde sagen, Hey, das lag hier auf dem Boden, gehört das dir? Und er wird sagen: Das da? Das hab ich noch nie gesehen - es muss dir gehören, Sasha. Und das stimmt vielleicht sogar. Vielleicht hat ihn mir vor Jahren irgendwer gegeben, und ich habe es vergessen.
    »Und? Haben Sie ihn zurückgelegt?«, fragte Coz.
    »Dazu gab es keine Gelegenheit. Er kam gerade vom Klo.«
    »Und später? Nach dem Bad. Oder bei Ihrem nächsten Treffen.«
    Es entstand eine Pause, in der Sasha deutlich spürte, wie Coz hinter ihr saß und wartete. Sie wollte ihm so gern einen Gefallen tun, wollte etwas sagen wie Das war ein Wendepunkt, mir kommt jetzt alles anders vor, oder Ich habe Lizzie angerufen, und wir haben uns endlich wieder versöhnt, oder Ich habe wieder angefangen, Harfe zu üben, oder einfach Ich ändere mich ich ändere mich ich habe mich geändert! Erlösung, Verwandlung - Gott, wie sehr sie sich danach sehnte. Jeden Tag, jede Minute. Ging das nicht allen so?
    »Bitte«, sagte sie zu Coz. »Fragen Sie nicht, wie mir zumute ist.«
    »Na gut«, sagte er gelassen.
    Sie blieben schweigend sitzen, das längste Schweigen, das es je zwischen ihnen gegeben hatte. Sasha schaute die Fensterscheibe an, die immer wieder vom Regen überspült wurde und hinter der die Lichter in der anbrechenden Dämmerung zerliefen. Sie lag mit angespanntem Körper da und beanspruchte die Couch, ihr Fleckchen in diesem Raum, ihre Aussicht auf das Fenster und die Wände, das leise Summen, das immer da war, wenn sie lauschte, und diese Minuten von Coz’ Zeit, eine, dann noch eine und immer wieder noch eine.

Die Goldkur
     
    Die peinlichen Erinnerungen setzten bei Bennie an diesem Tag früh ein, gleich bei der Morgenbesprechung, als er sich anhören musste, wie eine seiner wichtigsten Mitarbeiterinnen dafür plädierte, Stop/Go fallen zu lassen, eine Band, mit der Bennie drei Jahre zuvor einen Vertrag über drei Alben gemacht hatte; die Schwestern waren jung und hinreißend, ihr Sound war rau, schlicht und eingängig (»Cyndi Lauper meets Chrissie Hynde« war Bennies ursprünglicher Slogan gewesen), mit einem lauten, dröhnenden Bass und witzigen Schlaginstrumenten - er erinnerte sich an eine Kuhglocke. Außerdem hatten sie brauchbare Lieder geschrieben; verdammt, sie hatten von der Bühne weg zwölftausend CDs verkauft, ehe Bennie sie auch nur hatte spielen hören. Etwas Zeit, um erfolgversprechende Singles zu entwickeln, etwas cleveres Marketing und ein brauchbares Video hätten den Durchbruch bringen können.
    Aber die Schwestern gingen auf die dreißig zu, wie Bennies Produzentin Collette ihm jetzt mitteilte, und waren als kürzlich erst von der Highschool abgegangene Mädels nicht mehr zu verwerten, zumal die eine eine neun Jahre alte Tochter hatte. Die Mitglieder der Band studierten jetzt Jura. Sie hatten zwei Produzenten gefeuert, ein dritter war ausgestiegen. Und noch immer kein Album.
    »Wer managt sie?«, fragte Bennie.
    »Ihr Vater. Ich hab die neuen Sachen in abgemischter Fassung«, sagte Collette. »Der Gesang ist unter sieben Tonspuren Gitarre begraben.«
    In genau diesem Moment brach die Erinnerung über Bennie herein (hatte das Wort »Schwestern« sie ausgelöst?): Er hockte nach einer durchfeierten Nacht bei Sonnenaufgang hinter einem Nonnenkloster in Westchester - war das jetzt zwanzig

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