Der Mann mit dem roten Zylinder
Neuigkeiten im D-Zug
Es ist kurz nach einundzwanzig Uhr.
Mit unverminderter Geschwindigkeit rast der D-Zug Göteborg-Stockholm über die Gleise. Geisterhaft huschen Lichter erleuchteter Fenster oder flimmernder Straßenlaternen vorüber. Das Zischen des Fahrtwindes und das Rattern der Räder wird zum kurzen Aufbrausen, wenn der Zug unter Brücken hindurchfährt, und zum donnernden Gedröhn, wenn er Brücken überquert.
In einem Abteil der ersten Klasse sitzt ein Herr im dunkelblauen, elegantgeschnittenen Maßanzug. In der sandfarbenen Krawatte aus reiner Shantungseide schimmert mattsilbern eine Perle. Das hellgraue Hemd und die modischen Schuhe vervollkommnen das Bild eines vornehmen Mannes.
Sein Name: Erik Olanson.
Sein Beruf: Privatdetektiv.
Erik Olanson ist einer der erfolgreichsten Stockholmer Privatdetektive, wenn es im Augenblick auch kaum den Anschein hat, denn Herr Olanson schläft. Er tut es mit auf der Brust verschränkten Armen, während sein Kopf im kaum wahrnehmbaren Rhythmus des Fahrens pendelt.
Außer Olanson gibt es noch einen weiteren Fahrgast im Abteil. Es ist ein rundlicher, freundlich aussehender Herr, der pausenlos an seiner Uhrkette spielt, während seine kleinen blitzenden Mausaugen zwischen dem Detektiv und einer Zeitung, die er in der Hand hält, hin und her huschen. Fast ist ein wenig Neid in diesen Blicken, die vielleicht sagen: „Der kann schlafen — und ich nicht!“
Doch plötzlich geht ein leichter Ruck durch den Zug. Als Augenblicke später die Lokomotive einen schrillen Warnpfiff ertönen läßt, ist Erik Olanson schlagartig hellwach. Nur weniger Sekunden bedarf es, um ihn in die Wirklichkeit zurückzubringen.
Er unterdrückt ein Gähnen und erwidert den freundlichen Gruß seines Gegenübers.
„Ich wollte, ich könnte auch im Zug schlafen“, seufzt der Mann mit der dicken Uhrkette.
„Das ist reine Übungssache“, erwidert Erik Olanson und setzt ein verbindliches Lächeln auf. Sich seiner Absicht erinnernd, beugt er sich zum Fenster und versucht sich in der vorbeihastenden Finsternis zu orientieren.
„In einer knappen Stunde sind wir in Stockholm“, klärt ihn der Ma nn auf, als habe er Angst, das Gespräch könne wieder versanden.
„Danke. Es ist aber auch gar nichts zu erkennen.“
„Äh, um noch einmal auf das Schlafen im Zug zurückzukommen“, beginnt der Mann mit der dicken Uhrkette wieder. Er hat jetzt ernstlich Angst, daß Olanson seinen unterbrochenen Schlaf fortsetzen könnte. „Ich habe da vor längerer Zeit von einem Bekannten ein Rezept bekommen...“
Die Atempause nutzt Olanson zu einem freundlichen: „So??“
„Man empfahl mir, die Schwellen während der Fahrt zu zählen. Bei der zweiten Million würde man bestimmt schlafen. Hahahahahehehehe.“
Olansons Reisegefährte schüttelt sich vor Lachen, bis ihm ein paar Tränen die Wangen hinablaufen und er ächzend nach Luft schnappt. Erst als er sieht, daß Erik Olansons Begeisterung über diesen lahmen Ratschlag nur aus einem höflichen Lächeln besteht, beruhigt er sich wieder.
Fast beleidigt wischt er sich mit einem Taschentuch von der Größe eines kleinen Tischtuchs das salzige Naß von den Wangen.
Doch plötzlich scheint ihm etwas anderes einzufallen.
„Was sagen Sie zu diesen merkwürdigen Geschichten in Stockholm?“ Dabei fuchtelt er wichtigtuerisch mit seiner Zeitung herum.
Erik Olanson runzelt die Stirn. Dabei fährt es ihm blitzschnell durch den Kopf, daß er ja seit zwei Wochen keine Stockholmer Zeitung gelesen hat.
„Es tut mir leid, aber ich habe wirklich keine Ahnung, was Sie mit ,merkwürdigen Geschichten 1 meinen.“
„Na, ich meine, was man über den Mann mit dem roten Zylinder schreibt.“
Olansons Gesicht ist jetzt ein einziges Fragezeichen. Doch sein Interesse scheint geweckt zu sein. Mit dem sicheren Instinkt eines Mannes, der sich um jeden Preis unterhalten will, hat der Dicke das begriffen.
Die Wichtigkeit seiner Rolle erfassend, setzt er sich in Positur.
„Seit Tagen berichten die Zeitungen darüber. — Zum Beispiel die Sache mit der Jensen-Bank. Das war doch versuchter Einbruch.“
Erik Olanson ist jetzt doch neugierig geworden. Der Detektiv in ihm beginnt sich zu regen.
Mit einer lässigen Handbewegung klärt er den Mann auf:
„Sie müssen schon entschuldigen — aber ich war jetzt fast vierzehn Tage in Göteborg und habe in dieser Zeit nicht eine einzige Stockholmer Zeitung gelesen. Und in den Göteborger Zeitungen hat mich nur eine Rubrik
Weitere Kostenlose Bücher