Moony Witcher - Nina 01 und das Geheimnis der Lagunenstadt
Der schwarze Stern
Es war tiefe Nacht, der Vollmond hing am Himmel und Tausende von Sternen glitzerten dort oben wie kleine blaue und rote Lämpchen. Sanft und behutsam - so fiel das Licht vom Firmament in Ninas Zimmer und spiegelte sich in ihren großen blauen Augen. Sie war noch wach. Vom Bett aus beobachtete sie das bezaubernde Schauspiel vor ihrem Fenster. Sie träumte gern davon, dort hinaufzufliegen, durch den unendlichen Weltraum zu reisen und die kleinen Sterne in die Hand zu nehmen, zu erfahren, was es alles zu entdecken gebe auf den Planeten und in den Galaxien, diesen geheimnisvollen Welten, die noch nie ein Mensch besucht hatte. Nina war überzeugt, dass die Erde nur einer von vielen Lebensräumen sein konnte. Sie war sich sicher: Im Universum gab es Leben, und wie! Schon zwei Monate zuvor hatte sie deshalb über dem Kopfende ihres Bettes ein Brett aus Sperrholz aufgehängt, auf das sie mit blauem Filzstift geschrieben hatte:
Im Vergleich zum Himmel sind wir alle klein, unsere Leben scheinen kurz und unbedeutend.
Doch wenn wir den Himmel beobachten und nachdenken, können wir viel von ihm lernen.
Nina hatte diesen Spruch irgendwie festhalten müssen, nachdem sie das Abschlusskapitel von Verschollen gelesen hatte, dem letzten Buch von Birian Birov, einem russischen Science-Fiction-Schriftsteller, der unter rätselhaften Umständen ums Leben gekommen war. Sie mochte diesen Autor sehr gern, ungefähr so wie Tadino de Giorgis, den berühmtesten italienischen Alchimisten, der im 17. Jahrhundert gelebt hatte.
Bei jeder Gelegenheit las sie diese rasch notierten Zeilen. Sie gaben Nina das Gefühl, wie eine Seiltänzerin zwischen Wirklichkeit und Fantasie zu balancieren. Vielleicht waren viele ihrer Träume wahrer, als sie es zu wagen hoffte.
Sie hatte heftig mit Großtante Andora kämpfen müssen, bis sie die Sperrholztafel endlich über ihrem Bett anbringen durfte. Die Tante war überhaupt nicht einverstanden gewesen, weder mit dem Satz selbst noch mit der Idee, ein »hässliches« Stück Holz an die Wand zu heften. So wenig, dass sie Nina zur Strafe sogar den täglichen Spaziergang im Park verboten hatte.
»Was soll dieser Unsinn überhaupt bedeuten? Du bist schon wie dein Großvater. Dieser Verrückte, der das Leben meiner Schwester Espasia ruiniert hat. Du tust immer so neunmalklug, aber eigentlich weißt du gar nichts!«, hatte sie Nina angefahren, die als Antwort wütend ihre Zimmertür zugeschlagen hatte. So kräftig, dass im Flur die Bilder an den Wänden gewackelt hatten.
Auch wenn seitdem schon zwei Monate vergangen waren, an diesen Tag erinnerte Nina sich noch genau. Sechs Stunden hatte sie schweigend allein in ihrem Zimmer gesessen. Und dieses ganze Theater von Tante Andora nur wegen eines einzigen Satzes, mehr nicht. Erst später sollte Nina klar werden, dass gerade dieser scheinbar so kleine Satz das erste Zeichen für die große Aufgabe war, die auf sie wartete.
Manch ein Griesgram hätte Tante Andoras Wutausbrüche vielleicht auch nachvollziehen können. Denn Nina war ein außergewöhnliches Kind. Viele Erwachsene verstanden nicht, dass sie einfach sehr begabt war, hielten sie stattdessen für ungeduldig und ungezogen. Dabei lag es ihr im Blut, sie hatte ihre geheimnisvollen und rätselhaften Fähigkeiten von ihren Vorfahren geerbt. Nur das konnte Nina als Einjährige noch nicht ahnen.
Sie wusste lediglich, dass sie diese unheimliche Sehnsucht verspürte, einmal dort zum Himmel hinaufzureisen. Zu fliegen. Zu entdecken.
Und doch war dieses kleine erdbeerrote Muttermal, das wie ein fünfzackiger Stern mitten auf der Handfläche ihrer rechten Hand prangte, ein untrügliches Zeichen. Auch Opa Mischa hatte genau so einen Stern auf seiner Hand.
Opa Mischa, der Vater von Ninas Mutter, war Russe, lebte aber nun in der faszinierendsten Stadt der Welt: Venedig.
Michail Mesinski hieß der Großvater mit richtigem Namen. Er war ein gelehrter Alchimist und Philosoph und wusste bereits, was die Zukunft für seine Enkelin bereithielt: In nur wenigen Tagen würde ihr großes magisches Abenteuer beginnen.
Deshalb hatte Mischa schon vor Jahren damit angefangen, Nina in einige alchimistische Formeln einzuführen, und ihr erklärt, was es mit dem sternförmigen Muttermal auf sich hatte. Dass es sich verwandelte, wenn Nina Gefahr drohte. Doch er hatte ihr auch versichert, dass sie nicht beunruhigt sein müsse, solange sich auf ihrer Hand nicht ein großer schwarzer Stern zeigte.
In jener
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