Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
zuwendet, zu welcher Talente und ein höherer Schwung erforderlich sind; allein diese Neigung muß auf eine solide und vernünftige Bahn gelenkt werden. Nun ist Euch, werteste Frau und Freundin, die Art meines nicht unbedeutenden Geschäftes bekannt; ich fabriziere bunte Stoffe, und wenn ich einen leidlichen Verdienst erzwecke, so geschieht es hauptsächlich dadurch, daß ich mit Aufmerksamkeit und Raschheit allezeit die neuesten und gangbarsten Dessins zu bringen und selbst den herrschenden Geschmack durch ganz Neues und Originelles zu überbieten suche. Hiezu sind eigene Zeichner vorhanden, deren Aufgabe es ist, lediglich neue Dessins zu erfinden und, in der behaglichen Stube sitzend, nach Herzenslust Blumen, Sterne und Linien durcheinanderzuwerfen. In meiner bescheidenen Anstalt habe ich drei solcher Leute, die gerade keine großen Kirchenlichter sind, denen ich aber ein lästerliches Geld bezahlen und sie obenhinein noch sehr glimpflich behandeln muß. Sie sind, obgleich sie ganz geschickt den Gang des Geschäftes begreifen und verfolgen, doch nur zufällig zu diesem Berufe gekommen und durch keinerlei innere Kraft vorherbestimmt.
Was könnte mir nun willkommener sein als ein junger Mensch, der mit solcher Energie sich für Papier und Farben erklärt, in so frühem Alter, der den ganzen Tag, ohne weitere Anregung, Bäume und Blumengärtchen malt? Wir wollen ihm schon Blumen genug verschaffen, in geordneten Reihen soll er sie auf die Tücher zaubern, unerschöpflich, immer neu; er soll aus der reichen Natur die wunderbarsten und zierlichsten Gebilde abstrahieren, welche meine Konkurrenten zur Verzweiflung bringen!« (Und der treffliche Mann erging sich hier, meine Mutter beinahe vergessend, in den kühnsten Spekulationen.) »Kurz, gebt mir Euren Sohn ins Haus! Ich werde ihn bald so weit gebracht haben wie die anderen, und wenn er einige Jahre älter ist, so tun wir ihn nach Paris, wo die Sache ins Große betrieben wird und die ausgezeichnetsten Dessinateurs der verschiedensten Industriezweige leben wie die Fürsten und von den Geschäftsleuten auf Händen getragen werden. Hat er dort sich gehörig emporgeschwungen und seine Erfahrung bereichert, so ist er ein gemachter Mann und kann sein Los selbst bestimmen. Will er alsdann sich wieder mit mir verbinden, so wird das mir zur Freude und zum Vorteil gereichen, findet er aber sein Glück anderswo, so habe ich nichtsdestoweniger meine Zufriedenheit daran. Bedenket Euch, ich glaube mich nicht zu täuschen!«
Er führte hierauf meine Mutter in seinem Geschäfte herum und zeigte ihr die bunten Herrlichkeiten, die geschnittenen Holzmödel und vor allem die kühnen Kompositionen seiner Zeichner. Es leuchtete ihr alles vollkommen ein und erfüllte sie wieder mit Hoffnung. Abgesehen von dem gesicherten und reichlichen Erwerbe, welchen ein gewandter Geschäftsmann verbürgte, war ja diese ganze Kunst dem Dienste der Frauen gewidmet und so reinlich und friedsam, daß ein Sohn in ihrem Schoße wohl geborgen schien. Auch mochte es vielleicht eine Ader verzeihlicher Eitelkeit erwecken, wenn sie sich in einen der bescheideneren Stoffe meiner Erfindung gekleidet dachte. Sie war so mit diesen angenehmen Gedanken beschäftigt, daß sie für diesmal ihre Wanderung einstellte, um sich ganz in denselben zu ergehen.
Der folgende Tag jedoch rief sie wieder zu gänzlichen Erfüllung ihrer Mutterpflicht auf und führte sie mit neuen Sorgen und Zweifeln auf den Weg.
Sie gelangte zu einem dritten Freunde des Vaters, einem Schuster, der im Geruche tiefen Verstandes lebte und ein gewaltiger Politiker war. Seit dem Tode meines Vaters war er durch die Zeitereignisse in eine strenge demokratische und sozialistische Richtung hineingetreten. Nach mißlaunischer Anhörung des Berichtes und des Erfolges der gestrigen Bemühungen brach er barsch los:
»Maler, Landkartenmacher, Blümchenzeichner, Stubensitzer, Herrenknecht! Handlanger der Geldaristokraten, Gehilfe des Luxus und der Verweichlichung, als Landkartenmacher sogar direkter Vorschubleister des bestialischen Kriegswesens! Handwerk, ehrliche und schwere Handarbeit ist uns vonnöten, gute Frau! Wenn Euer Mann lebte, so würde er den Jungen so gewiß durch schwere Handarbeit ins Leben führen, als zwei mal zwei vier sind! Zudem ist der Junge schon ein bißchen schwächlich und verwöhnt durch Euere Weiberwirtschaft; laßt ihn ein Maurer oder Steinmetz werden, oder besser, gebt ihn mir, so wird er die gehörige Demut und damit den rechten
Weitere Kostenlose Bücher