Das Haus der Tänzerin
1
Spanien, September 1936
Im letzten Herbst ihres Lebens lag die junge Frau rücklings in dem bleichen, flüsternden Gras unter der andalusischen Sonne. Träge Wolken zogen über den Himmel, und ihr Blick folgte einem einzelnen weißen Schmetterling, der tief am Boden mit dem Wind flog. Sie drehte sich auf die Seite, zog ihre Rolleiflex auf und hielt sich die Kamera vors Auge.
»Da steckst du also!« Capa streckte sich neben ihr aus. Er kniff die Augen zusammen und blickte den Hügel hinauf. Dort standen drei Milizsoldaten, die Gewehre schussbereit, und zielten über die Ebene in Richtung Berge. »Ich habe dich überall gesucht. Ich dachte schon, ich hätte meine pequeña rubia , meine kleine Blondine, verloren …« Er küsste sie auf die Schulter und verlagerte seine Leica auf die andere Seite. »Du siehst aus wie eine Füchsin, die sich hier im Gras versteckt hält.« Die Objektive glitzerten in der Sonne, während die beiden Seite an Seite Aufnahmen machten.
»Mir war langweilig. Es sah ganz so aus, als hättest du vor, den Nachmittag über Karten zu spielen.« Gerda richtete die Kamera auf die Männer und zog die Schärfe nach. Das Objektiv drehte sich geschmeidig unter ihren Fingerspitzen, während sie den Ausschnitt wählte. Erst erschienen die Grashalme im Sucher, dann die schweißüberströmten Gesichter der Männer. Die Sonne brannte erbarmungslos auf sie herab, auf den Hügeln zirpten Zikaden.
»Hier ist nichts los, außer dass Scharen von Männern in der Stadt aufmarschieren und die besten Schinken vertilgen.« Capa schob sich ein Stückchen nach vorn, die Ellbogen gruben sich in die trockene Erde. Sie schmeckte den Staub, das Salz auf ihrer Haut, als sie sich die Lippen leckte. Auf einmal merkte sie, dass sie Hunger hatte, aber das Licht war heute Morgen so schön und klar gewesen, dass sie die Chance auf das perfekte Bild nicht verpassen wollte.
»Wir müssen unbedingt etwas Gutes an die Illustrierte Vu schicken, André. Es wird Zeit, wieder nach Madrid zurückzukehren. Wo sind wir überhaupt? In der Nähe von Espejo?«
»Ja, irgendwo bei Córdoba. Ich glaube, es geht Richtung Cerro Muriano …« Capa drehte am Objektiv.
Sie spürte, dass er abgelenkt war, auf etwas konzentriert. So war er häufig, wenn er arbeitete, ganz im Augenblick des Fotos gefangen. Gerda erinnerte sich daran, wie sie als Kind in Deutschland einmal einem Schmetterling nachgejagt war. Sie hatte versucht, ihn in der hohlen Hand zu fangen. Manchmal kam ihr das Fotografieren genauso vor – ein vollkommener, leuchtender Blitz aus buntem Licht, den sie stets knapp verfehlte. Sie beide waren Jäger, dachte sie, Jäger des Lichts. Capa hatte seine Kamera auf einen Milizsoldaten gerichtet, der allein am Hang stand, das Gewehr in der rechten Hand. Das weiße Hemd des Soldaten steckte in einem ledernen Patronengürtel, aber er sah eher aus wie ein Zivilist, ein junger Mann auf Kaninchenjagd, statt wie ein Soldat im Krieg. »Wir sind zu weit weg.« Er schob sich zentimeterweise auf dem Bauch nach vorn. »Was erzähle ich dir immer wieder?«
»Wenn das Foto nichts wird, sind wir nicht nahe genug dran.« Gerda strich sich die rotblonden Haare aus dem Gesicht.
Capa grinste, ein weiches, schnurrendes Lachen perlte nach oben. »Gute Schülerin.« Er ballte die Faust und reckte sie in die Luft. »Vorwärts!« Lachend wie Kinder kletterten sie den Hang hinauf, und Gerdas Espadrilles rutschten lautlos auf dem trockenen Gras ab.
»Da«, sagte sie und hielt sich die Kamera vors Auge. Sie schoss ein paar Bilder von zwei Soldaten, deren Gewehre in den Himmel ragten wie die Grashalme zwischen ihren Füßen. Ihre sonnengebräunten Gesichter hatten die Farbe der Erde darunter.
Capa sprang auf und lief zu den Soldaten hinüber. » Salud! «
Auf dem Kamm des Hügels ging Gerda in die Hocke, um ihren Film zu überprüfen. Als sie aufstand und Atem schöpfte, ließ sie den Blick über die Gruppen von republikanischen Soldaten in der Ferne schweifen; schmale, bunt gemischte Gestalten, die sich im Gras zusammenkauerten, wie grasende Schafe über den Berghang verteilt, über ihnen ein gewaltiger El-Greco-Himmel mit Quellwolken. Gerda zog den dicken Ledergürtel ihres blauen Overalls enger und tastete nach der Pistole, die darin steckte. Ausnahmsweise befanden sie sich einmal nicht im Mittelpunkt des Geschehens, aber bald würde es wieder so weit sein. Mit der Hand schirmte sie die Augen ab und ließ den Blick aufmerksam über die Ebene in den
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