Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
alles tat ich halb unbewußt in der Verwirrung, zum Teil weil ich wähnte, man würde mir auf der Stelle ansehen, daß ich wegen Anna bliebe und daß ich sie wirklich liebe, und endlich auch aus unerklärlicher Laune.
Sobald ich hundert Schritte vom Dorfe entfernt war, reute mich meine Abreise, ich wäre gern vom Wagen gesprungen und drehte den Kopf immerwährend zurück nach den Höhen, welche, um den See lagen, und schaute sie an, ohne zu gewahren, wie sie unter meinen Augen blau und klein wurden und hinter meinem Rücken das Hochgebirge aus größern und tiefern Seen emporstieg.
Ich konnte mich in den ersten Tagen meiner Rückkehr kaum zurechtfinden.
Im Angesichte der großartigen und schönen Landschaft, welche die Stadt umgibt, schwebte mir nun die verlassene Gegend wie ein Paradies vor, und ich fühlte erst jetzt jeden Reiz ihrer einfachen und anspruchlosen, aber so ruhigen und lieblichen Bestandteile. Wenn ich auf der höchsten Höhe über unserer Stadt in das Land hinaussah, so war mir der kleine versteckte Strich blauen Fernegebietes, wo das Dorf und nicht weit davon des Schulmeisters See zu vermuten waren, die schönste Stelle des Gesichtskreises, die Luft wehte reiner und glücklicher von dorther, der mir unsichtbare Aufenthalt Annas in jener entlegenen bläulichen Dämmerung wirkte magnetisch über alles dazwischenliegende Land her; ja wenn ich, in der Tiefe gehend, jenen glücklichen Horizont nicht sah, so suchte und fühlte ich doch die Himmelsgegend und sah mit Heimweh und Sehnsucht das dorthin gehende Stück Himmel von näheren Bergen begrenzt.
Indessen erneuerte sich die Frage über meine Berufswahl und machte sich täglich dringender geltend, da man mich nicht länger halb müßig und planlos sehen konnte. Ich war einmal an den Türen des Fabrikgebäudes vorbeigestrichen, wo der eine Gönner hauste. Ein häßlicher Vitriolgeruch drang mir in die Nase, und bleiche Kinder arbeiteten innerhalb und lachten mit rohen Grimassen hervor. Ich verwarf unbedingt die Hoffnungen, die sich hier darboten, und zog es vor, lieber ganz von solchen halbkünstlerischen Ansprüchen fernzubleiben und mich dem Schreibertume entschieden in die Arme zu werfen, wenn einmal entsagt werden müsse, und ich gab mich diesem Gedanken schon geduldig hin. Denn nicht die mindeste Aussicht tat sich auf, bei irgendeinem guten Künstler untergebracht zu werden.
Da gewahrte ich eines Tages, wie eine Menge der gebildeten Leute der Stadt in einem öffentlichen Gebäude aus und ein gingen. Ich erkundigte mich nach der Ursache und erfuhr, daß in dem Hause eine Kunstausstellung stattfinde, welche, von einem Vereine mehrerer größerer Schweizerstädte veranlaßt, in diesen bereits ihre Runde gemacht und nun noch durch die kleineren Städte zirkuliere, um auch hier der Kunst mehr Freunde zu gewinnen. Da ich sah, daß nur feingekleidete Leute hineingingen, lief ich nach Hause, putzte mich ebenfalls möglichst heraus, als ob es in die Kirche ginge, und wagte mich alsbald in die geheimnisvollen Räume. Ich trat in einen hellen Saal, in welchem es von allen Wänden und von großen Gestellen in frischen Farben und Gold erglänzte. Der erste Eindruck war ganz traumhaft, große klare Landschaften tauchten von allen Seiten, ohne daß ich sie vorerst einzeln besah, auf und schwammen vor meinen Blicken mit zauberhaften Lüften und Baumwipfeln; Abendröten brannten, Kinderköpfe, liebliche Studien guckten dazwischen hervor, und alles entschwand wieder vor neuen Gebilden, so daß ich mich ernstlich umsehen mußte, wo denn dieser herrliche Lindenhain oder jenes mächtige Gebirge hingekommen seien, die ich im Augenblicke noch zu sehen geglaubt? Dazu verbreiteten die frischen Firnisse der Bilder einen sonntäglichen Duft, der mir angenehmer dünkte als der Weihrauch einer katholischen Kirche, obschon ich diesen sehr gern roch.
Es ward mir kaum möglich, endlich vor einem Werke stillzustehen, und als dies geschah, da vergaß ich mich vor demselben und kam nicht mehr weg.
Einige große Bilder der Genfer Schule, mächtige Baum-und Wolkenmassen in mir unbegreiflichem Schmelze gemalt, waren die Zierden der Ausstellung, eine Menge Genrebildchen und Aquarellen reizten dazwischen als leichtes Plänklervolk, und ein paar Historien und Heiligenscheine wurden kalt bewundert. Aber immer kehrte ich zu jenen großen Landschaften zurück, verfolgte den Sonnenschein, welcher durch Gras und Laub spielte, und prägte mir voll inniger Sympathie die schönen
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