Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
ein und derselbe Baum nach und nach voll und rund wurde und die hervorkeimenden Pflanzen am Boden mit Blumen endigten, deren Art ich neugierig erwartet hatte. Ich drang immer tiefer in bisher nicht gesehene Winkel und Gründe; fand ich eine recht abgelegene und geheimnisvolle Stelle, so ließ ich mich dort nieder und fertigte rasch eine Zeichnung eigener Erfindung an, um ein Produkt nach Hause zu bringen. In derselben häufte ich die seltsamsten Gebilde zusammen, die meine Phantasie hervorzutreiben vermochte, indem ich die bisher wahrgenommenen Eigentümlichkeiten der Natur mit meiner erlangten Fertigkeit verschmolz und so Dinge hervorbrachte, die ich Herrn Habersaat als in der Natur bestehend vorlegte und aus denen er nicht klug werden konnte. Er gratulierte mir zu meinen Entdeckungen und fand seine Aussprüche über meinen Eifer und mein Talent bestätigt, da ich hiemit beweise, daß ich unverkennbar ein scharfes und glückliches Auge für das Malerische hätte und Dinge auffände, an welchen tausend andere vorübergingen. Diese gutmütige Täuschung erweckte mir eine üble Lust, dergleichen fortzusetzen und es förmlich darauf anzulegen, den guten Mann zu hintergehen. Ich erfand, irgendwo im Dunkel des Waldes sitzend, immer tollere und mutwilligere Fratzen von Felsen und Bäumen und freute mich im voraus, daß sie mein Lehrer für wahr und in nächster Umgebung vorhanden erachten würde. Doch mag es mir zu einiger Entschuldigung gereichen, daß ich in alten Kupferblättern, z.B. von Swanefeldt, die abenteuerlichsten Formationen als löbliche Meisterwerke vorgebildet sah und selbst der guten Meinung lebte, dieses sei das Wahre und immerhin eine gute Übung. Denn schon waren die edlen und gesunden Formen Claude Lorrains im flüchtigen Jugendgemüte wieder unter die Oberfläche getreten. Während der Winterabende war im Refektorium etwas Figurenzeichnen getrieben worden, und ich hatte mir, indem ich eine Menge radierter bekleideter Staffagefiguren kopierte, einige grobe Übung und Kenntnis im Entwerfen solcher erworben. So erfand ich nun zu meinen wunderlichen Landschaftsstudien noch viel wunderlichere Menschen, zerlumpte Kerle, welche ich gesehen zu haben vorgab und welche das ganze Haus des Lehrers oft unmäßig zum Lachen brachten. Es war ein nichtsnutziges und verrücktes Geschlecht, welches in Verbindung mit der seltsamen Gegend eine Welt bildete, die nur in meinem Gehirne vorhanden war und endlich doch meinem Vorgesetzten verdächtig und ärgerlich wurde. Doch bemerkte er nicht viel hierüber, sondern ließ mich meine Wege gehen, da ihm einerseits das frische junge Gemüt mangelte, um dem Gedankengange und den Ränken meines Treibens nachzuspüren und mich darüber zu ertappen, und anderseits die völlige Überlegenheit des eigenen Wissens. Diese beiden Vermögen bilden ja das Geheimnis aller Erziehung unverwischte lebendige Jugendlichkeit und Kindlichkeit, welche allein die Jugend kennt und durchdringt, und die sichere Überlegenheit der Person in allen Fällen. Eines kann oft das andere zur Notdurft ersetzen, wo aber beide fehlen, da ist die Jugend eine verschlossene Muschel in der Hand des Lehrers, die er nur durch Zertrümmerung öffnen kann. Beide Eigenschaften gehen aber nur aus einem und demselben letzten Grunde hervor aus unbedingter Ehrlichkeit, Reinheit und Unbefangenheit des Bewußtseins.
Der Sommer war nun auf seine volle Höhe geschritten, als ich, die Zeit allgemeiner Erholung ersehend, meinem geheimen Verlangen nach der andern Heimat, dem entlegenen Dorflande, nachgab und mit meinen Siebensachen hinauszog. Die Mutter blieb wieder zurück in entsagender Unbeweglichkeit und Selbstbeschränkung, ungeachtet aller freundlichen Aufforderungen, die Wohnung doch ganz zu schließen und wieder einmal an den Orten ihrer Jugend sich zu ergehen. Ich aber führte die umfangreichen Früchte meiner zwischenweiligen Tätigkeit mit mir, da ich mittelst derselben ein günstiges Aufsehen zu erregen gedachte.
Die zahlreichen, kräftig geschwärzten Blätter verursachten im Hause meines Oheims allerdings einige Verwunderung, und im allgemeinen sah man, mich nun wirklich für einen Maler haltend, die Sache mit ziemlichem Respekt an; als jedoch der Oheim die Zeichnungen betrachtete, welche ich nach der Natur gefertigt haben wollte (denn ich glaubte nun wie ein verstockter Lügner beinahe selbst daran und wußte überdies, da ich die Dinge einmal unter freiem Himmel und immerhin unter dem Einflusse der Natur zuwege
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