Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
gern aus der Kammer entfernen.
Indessen verweilte ich ruhig bei der Leiche und beschauete sie mit unverwandten Blicken; aber ich ward durch das unmittelbare Anschauen des Todes nicht klüger aus dem Geheimnis desselben oder vielmehr nicht aufgeregter als vorhin. Anna lag da, nicht viel anders, als ich sie zuletzt gesehen, nur daß die Augen geschlossen waren und das blütenweiße Gesicht auf den Wangen wunderbarerweise mit einem leisen rosigen Hauche überflogen, wie vom Widerschein eines fernen, fernen Morgen-oder Abendrotes. Ihr Haar glänzte frisch und golden, und ihre weißen Händchen lagen gefaltet auf dem weißen Kleide mit einer weißen Rose. Ich sah alles wohl und empfand beinahe eine Art glücklichen Stolzes, in einer so traurigen Lage zu sein und eine so poetisch schöne tote Jugendgeliebte vor mir zu sehen.
Erst als mir die alte Katherine jene Stickerei in die Hände gab, welche Anna zu einer Mappe für mich bestimmt und mühsam vollendet hatte, mit dem Bericht, daß die Leidende während der verwichenen Nacht plötzlich einmal gesagt, man solle nicht vergessen, mir das Geschenk zu übergeben, sobald ich wiederkomme, erst jetzt fiel es mir ein, daß wir unsterblich sind, und fühlte mich durch ein unauflösliches Band mit Anna verbunden.
Auch meine Mutter und der Schulmeister schienen stillschweigend mir ein nahes Recht auf die Verstorbene zuzugestehen, als man verabredete, daß fortwährend jemand bei der Toten weilen und ich die erste Wache halten sollte, damit die übrigen sich in ihrer Erschöpfung einstweilen zurückziehen und etwas erholen konnten. Ohne jene Voraussetzung hätten sie mir eine solche zugleich zarte und ernste Zumutung wohl nicht gestellt.
Ich blieb aber nicht lange allein mit der Anna, da bald die Basen aus dem Dorfe kamen und nach ihnen viele andere Mädchen und Frauen, denen ein so rührendes Ereignis und eine so berühmte Leiche wichtig genug waren, die drängendste Arbeit liegenzulassen und dem ehrfurchtsvollen Dienste des Menschengeschickes, des Todes, nachzugehen. Die Kammer füllte sich mit Frauensleuten, welche erst einer feierlich flüsternden Unterhaltung pflagen, dann aber in ein ziemliches Geplauder gerieten. Sie standen dichtgedrängt um die stille Anna herum, die jungen mit ehrbar aufeinandergelegten Händen, die ältern mit untergeschlagenen Armen. Die Kammertür stand geöffnet für die Ab-und Zugehenden, und ich nahm die Gelegenheit wahr, mich hinauszumachen und im Freien umherzuschlendern, wo die nach dem Dorfe führenden Wege ungewöhnlich belebt waren.
Erst nach Mitternacht traf mich die Reihe wieder, die Totenwache zu versehen, welche wir seltsamerweise nun einmal eingerichtet. Ich blieb nun bis zum Morgen in der Kammer; aber so schnell mir die Stunden vorübergingen, wie ein Augenblick, sowenig wüßte ich eigentlich zu sagen, was ich gedacht und empfunden. Es war so still, daß ich durch die Stille hindurch glaubte das Rauschen der Ewigkeit zu hören; das tote weiße Mädchen lag unbeweglich fort und fort, die farbigen Blumen des Teppichs aber schienen zu wachsen in dem schwachen Lichte. Nun ging der Morgenstern auf und spiegelte sich im See; ich löschte die Lampe ihm zu Ehren, damit er allein Annas Totenlicht sei, saß nun im Dunkeln in meiner Ecke und sah nach und nach die Kammer sich erhellen. Mit dem Morgengrauen, welches in das reinste goldene Morgenrot überging, schien es zu leben und zu weben um die stille Gestalt, bis sie deutlich und reglos im goldenen Tage dalag. Ich hatte mich erhoben und vor das Bett gestellt, und indem ihre Gesichtszüge klar wurden, nannte ich ihren Namen, aber nur hauchend und tonlos; es blieb totenstill, und als ich zugleich zaghaft ihre Hand berührte, zog ich die meinige entsetzt zurück, als ob ich an glühendes Eisen gekommen wäre; denn die Hand war kalt wie ein Häuflein kühler Ton.
Wie dies abstoßende kalte Gefühl meinen ganzen Körper durchrieselte, ließ es mir nun auch plötzlich das Gesicht der Leiche so seelenlos und abwesend erscheinen, daß mir beinahe der erschreckte Ausruf entfuhr »Was hab ich mit dir zu schaffen?« als aus dem Saale her die Orgel in milden und doch kräftigen Tönen erklang, welche nur manchmal in leidvollem Zittern schwankten, dann aber wieder zu harmonischer Kraft sich, ermannten. Es war der Schulmeister, welcher in dieser Morgenfrühe seinen Schmerz und seine Klage durch die Melodie eines alten Liedes zum Lob der Unsterblichkeit zu lindern suchte. Ich lauschte der Melodie, sie
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