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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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Prolog
     
    Bevor
ich mich aufmachte, um als Hospitalera — als ehrenamtliche
Herbergswirtin — in Pilgerunterkünften am Jakobsweg zu arbeiten, wurde im
Freundeskreis gern darüber spekuliert, was ich während dieser Zeit wohl alles
erleben könnte. Die meisten Freunde fanden meinen Plan, im Urlaub in
Pilgerherbergen vermeintlich niedere Dienste tun zu wollen, ziemlich
verschroben. Ein Vorhaben, das nur dadurch geadelt werden konnte, dass mir
dabei etwas ganz Außergewöhnliches widerfuhr. Von den Szenarien, die in diesem
Zusammenhang entwickelt wurden, war meine Lieblingsphantasie folgende:
    Ich
stellte mir vor, auf dem Balkon der Herberge zu stehen und Decken
auszuschütteln, als ich drunten am Brunnen einen Pilger sitzen sah, der sich
dort die Füße kühlte. Bei dem Pilger — einem Mann gerade im passenden Alter und
selbstverständlich sehr gut aussehend — handelte es sich um einen brasilianischen
Großgrundbesitzer, seit einem Jahr verwitwet, der sich auf den Camino begeben
hatte, um den Verlust seiner geliebten Frau zu überwinden und endlich wieder
Freude am Leben zu finden. Wie ich ihn da sitzen sah, rief ich hinab: „Señor,
das Brunnenwasser allein wird Ihren müden Füßen nicht helfen. Lassen Sie mich
Ihnen ein Fußbad mit Essig und Salz zubereiten.“ Als ich ihm dann den Bottich
brachte, vor ihn niederstellte und er mich dabei zum ersten Mal richtig ansah,
fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Heiliger Jakobus“, rief er, „du hast
meine Gebete schon erhört, bevor ich meinen Pilgerweg zu Ende gegangen bin. Ich
habe das Glück meines Lebens wieder gefunden.“
    Und
es ging weiter, wie es sich für ein anständiges Märchen gehört — wir pilgerten
gemeinsam nach Santiago, wurden in der Kathedrale daselbst getraut, reisten
danach auf seine Latifundien in Brasilien und lebten dort glücklich und in
Freuden — und wenn wir nicht gestorben sind, dann leben wir noch heute.
    Aber
diese Phantasie war natürlich völliger Blödsinn. Im wirklichen Leben kam alles
selbstverständlich total anders.

Camino — der magische Pfad
     
    Ich
weiß noch genau, wann mir zum ersten Mal der Gedanke kam, als Hospitalera in
einer Pilgerherberge am Jakobsweg zu arbeiten. Es war in Torres del Rio, einem
kleinen Ort in der Provinz Navarra, und ich stand noch ziemlich am Anfang
meiner Pilgerreise, hatte gerade mal vier Tage und rund 130 Kilometer auf dem
Camino hinter mich gebracht, also gut ein Sechstel der Gesamtstrecke.
    Camino ist das spanische Wort für Weg. Entlang des spanischen Jakobsweges
bedeutet el Camino jedoch das Synonym
für eben genau diesen Weg, den jahrtausende alten
berühmten Pilgerpfad zur Kathedrale von Santiago de Compostela, wo angeblich
die Gebeine des Apostels Jakobus ruhen.
    Ich
war zu jener Zeit mit David aus Irland unterwegs, den ich gleich in der ersten
Herberge getroffen hatte, und dem ich während meiner Pilgertour immer wieder
begegnen sollte. So ist das auf dem Camino: Man trifft ständig irgendwelche
Leute, geht ein Stück mit ihnen, verliert sie aus den Augen, begegnet ihnen
wieder oder auch nicht — wie auf dem Weg durch das Leben als solches eben auch.
Schließlich wird der Camino gern als Sinnbild des Lebensweges bezeichnet.
    David
und ich also hatten in Torres etwas getrunken und die Mittagshitze verstreichen
lassen. Nun bummelten wir ein bisschen herum, suchten die Pilgerherberge, Albergue oder Refugio, wie sie hier genannt wird, um uns dort einen Stempel in
unsere Credenciales , die
Pilgerausweise, geben zu lassen — als Souvenir und als Nachweis, dass wir dort
gewesen waren.
    Vor
der Herberge saß eine blonde junge Frau in der Sonne. Sie trug Shorts und
Wanderstiefel, sah aber nicht so aus, als sei sie an diesem Tag schon ein
längeres Stück gelaufen.
    „Nein,
bin ich nicht“, bestätigte sie lachend unsere entsprechende Frage, „ich arbeite
als Freiwillige hier in der Herberge.“
    „Ah
ja?“, meinte David interessiert, um sie zum Erzählen zu ermuntern, was sie
bereitwillig tat.
    Sie
war Amerikanerin auf Europatour und hatte ihre Pilgerreise bereits vor zwei
Wochen beendet. „Danach hatte ich das Gefühl, ich sollte dem Camino etwas
zurückgeben. Ich hatte Glück, traf denjenigen, der für die freiwilligen Helfer
in den Privatherbergen zuständig ist — und so arbeite ich jetzt als Hospitalera
hier in der Albergue.“
    Hospitaleras
und ihre männlichen Gegenstücke die Hospitaleros, das hatten wir bereits auf
unserem Camino mitbekommen, waren die

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