Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
Vom Netzwerk:
Handschuh umkehrt. Doch ich bezwang mich und fuhr fort daß es ferner nicht so gehen könne, daß ich Anna von Kindheit auf gern gehabt, daß sie mich bis zu ihrem Tode wahrhaft geliebt und meiner Treue versichert gewesen sei. Treue und Glauben müßten aber in der Welt sein, an etwas Sicheres müßte man sich halten, und ich betrachte es nicht nur für meine Pflicht, sondern auch als ein schönes Glück, in dem Andenken der Verstorbenen, im Hinblick auf unsere gemeinsame Unsterblichkeit, einen so klaren und lieblichen Stern für das ganze Leben zu haben, nach dem sich alle meine Handlungen richten könnten.
    Als Judith diese Worte hörte, erschrak sie noch mehr und wurde zugleich schmerzlich berührt. Es waren wieder von den Worten, von denen sie behauptete, daß niemals jemand zu ihr welche gesagt habe. Heftig ging sie unter den Bäumen umher und sagte dann »Ich habe geglaubt, daß du mich wenigstens auch etwas liebtest!«
    »Gerade deswegen«, erwiderte ich, »weil ich wohl fühle, daß ich heftig an dir hange, muß ein Ende gemacht werden!«
    »Nein, gerade deswegen mußt du erst anfangen, mich recht und ganz zu lieben!«
    »Das wäre eine schöne Wirtschaft!« rief ich, »was soll dann aus Anna werden?«
    »Anna ist tot!«
    »Nein! Sie ist nicht tot, ich werde sie wiedersehen, und ich kann doch nicht einen ganzen Harem von Frauen für die Ewigkeit ansammeln!«
    Bitter lachend stand Judith vor mir still und sagte: »Das wäre allerdings komisch! Aber wissen wir denn, ob es eigentlich eine Ewigkeit gibt?«
    »So oder so«, erwiderte ich, »gibt es eine, und wenn es nur diejenige des Gedankens und der Wahrheit wäre! Ja, wenn das tote Mädchen für immer in das Nichts hingeschwunden und sich gänzlich aufgelöst hätte, bis auf den Namen, so wäre dies erst ein rechter Grund, der armen Abwesenden Treue und Glauben zu halten! Ich habe es gelobt, und nichts soll mich in meinem Vorsatz wankend machen!«
    »Nichts!« rief Judith, »o du närrischer Gesell! Willst du in ein Kloster gehen? Du siehst mir darnach aus! Aber wir wollen über diese heikle Sache nicht ferner streiten; ich habe nicht gewünscht, daß du nach der traurigen Begebenheit sogleich zu mir kommest, und habe dich nicht erwartet. Geh nach der Stadt und halte dich ein halbes Jahr still und ruhig, und dann wirst du schon sehen, was sich ferner begeben wird!«
    »Ich seh es jetzt schon«, erwiderte ich, »du wirst mich nie wieder sehen und sprechen, dies schwöre ich hiemit bei Gott und allem, was heilig ist, bei dem bessern Teil meiner selbst und –«
    »Halt inne!« rief Judith ängstlich und legte mir die Hand auf den Mund; »du würdest es sicher noch einmal bereuen, dir selbst eine so grausame Schlinge gelegt zu haben! Welche Teufelei steckt in den Köpfen dieser Menschen! Und dazu behaupten sie und machen sich selber weis, daß sie nach ihrem Herzen handeln. Fühlst du denn gar nicht, daß ein Herz seine wahre Ehre nur darin finden kann, zu lieben, wo es geliebt wird, wenn es dies kann?
    Du kannst es und tust es heimlich doch, und somit wäre alles in der Ordnung!
    Sobald du mich nicht mehr leiden magst, sobald die Jahre uns sonst auseinanderführen, sollst du mich ganz und für immer verlassen und vergessen, ich will dies über mich nehmen; aber nur jetzt verlaß mich und zwinge dich nicht, mich zu verlassen, dies allein tut mir weh, und es würde mich wahrhaft unglücklich machen, allein um unserer Dummheit willen nicht einmal ein oder zwei Jahre noch glücklich sein zu dürfen!«
    »Diese zwei Jahre«, sagte ich, »müssen und werden auch so vorübergehen, und gerade dann werden wir beide glücklicher sein, wenn wir jetzt scheiden; es ist nun gerade noch die höchste Zeit, es, ohne spätere Reue und das Bisherige gutzumachen, zu tun. Und wenn ich dir es deutsch heraussagen soll, so wisse, daß ich mir auch dein Andenken, was immer ein Andenken der Verirrung für mich sein wird, doch noch so rein und schön als möglich retten und erhalten möchte, und das kann nur noch durch ein rasches Scheiden in diesem Augenblicke geschehen. Du sagst und beklagst es, daß du nie teilgehabt an der edleren und höheren Hälfte der Liebe! Welche bessere Gelegenheit kannst du ergreifen, als wenn du aus Liebe zu mir mir freiwillig erleichterst, deiner mit Achtung und Liebe zu gedenken und zugleich der Verstorbenen treu zu sein?
    Wirst du dich dadurch nicht an jener tieferen Art der Liebe beteiligen?«
    »Oh, alles Luft und Schall!« rief Judith, »ich habe nichts

Weitere Kostenlose Bücher