Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
Stimme abzugeben, fand ich darin nicht jene Erhebung, auf welche ich mich schon lange gefreut, obgleich ich von den immer noch lebensfrohen Freunden meines Vaters tapfer begrüßt und aufgemuntert wurde. Ich sah, daß alle anderen jungen Leute, die zum ersten Mal hier erschienen, als Handwerker, Kaufleute oder Studierende entweder schon selbständig oder durch ihre Väter oder durch einen bestimmten, nahe gesteckten Zweck mit der öffentlichen Wohlfahrt in einem klaren und sichern Zusammenhang standen; und wenn selbst diese Jünglinge sich höchst bescheiden und still verhielten bei der Ausübung ihres Rechtes, so mußte ich dies noch weit mehr tun und sogar von einer gewissen kühlen Schüchternheit befangen werden, da ich noch gar nicht absah, wie bald und auf welche Weise ich ein nützliches und wirksames Glied dieser Gesamtheit werden würde. Bis jetzt war durch mich noch nicht ein Bissen Brot in die Welt gekommen, und mein bisheriges Treiben hatte mich weit von dem betriebsamen Verkehr abgeführt; ich gab also ohne großen Aufwand von Gefühlen meine Erstlingsstimme in öffentlichen Dingen, mehr um einstweilen mein Recht zu wahren und dasselbe bloß andeutungsweise einmal auszuüben, ehe ich in die Weite ging, um erst etwas zu werden. Indessen betrachtete ich mit Vergnügen die versammelten Männer und ihr Behaben und freute mich an ihnen sowohl wie an den zahllosen Blüten, welche Überall die Erde bedeckten, und an dem blauen Maihimmel, welcher über alle sich ausspannte.
Mein einziges Trachten ging aber von nun an dahin, so bald als möglich über den Rhein zu gelangen, und um mir bis dahin die Stunden zu verkürzen, habe ich mir diese Schrift geschrieben.
Ende der Jugendgeschichte Viertes Kapitel
Das zweite Jahr ging seinem Ende entgegen, seit Heinrich in der deutschen Hauptstadt, dem Sitze eines vielseitigen Kunst-, Gelehrten-und Volkslebens, sich aufhielt, mitten in einem Zusammenflusse von Fremden aller Gegenden in und außer Deutschland. Er hatte Längst sein Sammetbarett und den beschnürten grünen Rock abgelegt und ging in schlichten Kleidern und mit einem Hute, der nur durch etwas breitere Krempen und durch die sorglose Art, mit welcher er behandelt und getragen wurde, den Künstler bezeichnete. Aber desto tiefer hatte sich der inwendige grüne Heinrich das Barettchen in die Augen gezogen und in das närrische Röckchen eingeknöpft, und wenn unser Held in der großen Stadt rasch die Freiheit und Sicherheit der äußerlichen Bewegung unter den vielen jungen Leuten angenommen hatte, so verkündete dagegen sein selbstvergessenes und wie im Traume blitzendes Auge, daß er nicht mehr der durch Einsamkeit früh reife und unbefangene Beobachter seiner selbst und der Welt war, wie er sich in seiner Jugendgeschichte gezeigt, sondern daß er von der Gewalt einer großen Nationalkultur, wie diese an solchem Punkte und zu dieser Zeit gerade bestand, gut oder schlecht, in ihre Kreise gezogen worden. Er schwamm tapfer mit in dieser Strömung und hielt vieles, was oft nur Liebhaberei und Ziererei ist, für dauernd und wohnlich, dem man sich eifrig hingeben müsse. Denn wenn man von einer ganzen Menge, die eine eigene technische Sprache dafür hat, irgendeine Sache ernsthaft und fertig betreiben sieht, so hält man sich leicht für geborgen, wenn man dieselbe nur mitspielen kann und darf.
Da ihn aber dennoch irgendein Gefühl ahnen ließ, daß auch diese Zeit mit ihren Anregungen vorübergehen werde, so gab er sich nur mit einem bittersüßen Widerstreben hin, von dem er nicht wußte, woher es kam. Heinrich war ausgezogen, die große Germania selbst zu küssen, und hatte sich statt dessen in einem der schimmernden Haarnetze gefangen, mit welchen sie ihre seltsamen Söhne zu schmücken pflegen.
Sein täglicher Umgang bestand in zwei Genossen, welche, gleich ihm vom äußersten Saume deutschen Volkstumes herbeigekommen, in verschiedener und doch ähnlicher Lage sich befanden. Der Zufall welcher das Kleeblatt zusammengeführt, schien bald ein notwendiges Gesetz zu sein, so sehr gewöhnten sie sich aneinander.
Der erste und hervorragendste an körperlicher Größe und Wohlgestalt war Erikson, ein Kind der nördlichen Gewässer, ein wahrer Riese, welcher selbst nicht wußte, ob er eigentlich ein Däne oder ein Deutscher sei, indessen gern deutsch gesinnt war, wenn er um diesen Preis den großen Stock der Deutschen, gewissermaßen das Reich der Mitte, wie er es nannte, als charakterlos und aus der Art geschlagen
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