Der gruene Heinrich [Erste Fassung]
lag und sein Licht nur durch eine schmale Schießscharte empfing, die in der feuchten schimmligen Mauer sich auftat. Als Heinrich sich einigermaßen an diese Dunkelheit gewöhnt, erblickte er das Loch angefüllt mit einer Unzahl hölzerner Stäbe und Stangen, ganz neu, rund und glatt gehobelt, von allen Größen lastweise an den Wänden stehend. Auf einer verjährten, längst erloschenen Feueresse, welche das Denkmal irgendeines Laboranten war, der vielleicht vor hundert Jahren in diesem Finsternis sein Wesen getrieben, stand ein tüchtiger Eimer voll weißer Leimfarbe inmitten mehrerer Töpfe mit anderen Farben, jeder mit einem mäßigen Streicherpinsel versehen.
»In vierzehn Tagen«, lispelte der Alte, abwechselnd schreiend, »wird die Braut unseres Kronprinzen in unserer Residenz ihren Einzug halten; die ganze Stadt wird geschmückt und verziert werden, Tausende und Abertausende von Fenstern werden mit Fahnen in unseren und den Landesfarben der Braut versehen; Kattunfahnen von jeder Größe werden die nächsten zwei Wochen die gesuchteste Ware sein, habe schon zweimal in meinem Geschäft den Witz mitgemacht und jedesmal ein gut Stück Geld verdient; wer der erste, Schnellste und Billigste ist, der hat den Zulauf. Darum frisch dran, keine Zeit zu verlieren! Habe schon seit zwei Wochen vorgesehen und Stöcke machen lassen, weitere Lieferungen sind bestellt, das Kattunschneiden und Nähen wird ebenfalls beginnen, Ihr aber, Schweizermännchen, müßt die Stangen anstreichen. Bst! nicht gemuckst! Hier für diese großen gebe ich einen Kreuzer das Stück, für diese kleineren einen halben, von diesen ganz kleinen aber, welche für die Mauslöcher und Blinzelfenster der Armut bestimmt sind, müssen vier Stück auf den Kreuzer gehen! Jetzt aber paßt auf, wie das zu machen ist, alles will gelernt sein!«
Er hatte schon mehrere Stücke teils halb, teils ganz vorgearbeitet; nachdem die Stange mit der weißen Grundfarbe versehen, welche für beide Landesfarben dieselbe war, wurde sie durch die andere Farbe mit einer Spirallinie umwunden. Der Alte legte eine grundierte Stange am einen Ende in die Schießscharte, hielt sie mit der linken Hand waagerecht, und indem er, den Pinsel eintauchend, Heinrich aufmerksam machte, wie dieser nicht zu voll noch zu leer sein dürfe, damit eine sichere und saubere Linie in einem Zuge entstände, begann er, die Stange langsam drehend, von oben an die himmelblaue Spirale zu ziehen, womöglichst ohne zu zittern oder eine Stelle nachholen zu müssen. Er zitterte aber doch, auch geriet ihm der weiße Zwischenraum nicht gleichmäßig, so daß er das mißlungene Werk wegwarf und rief »Item! auf diese Weise mein ich's! Eure Sache ist es nun, das Zeug besser zu machen, denn wofür seid Ihr jung?«
Heinrich legte nun auch eine Stange in die Schießscharte und versuchte sich in dieser seltsamen Arbeit, und bald ging es ganz ordentlich vonstatten, während der Alte vorn im Laden hauste und zwei oder drei Nähtermädchen, die sich eingefunden hatten, rüstig Zeug zuschnitt, damit sie es in zwei Farben zusammennäheten.
Draußen war es anhaltend das lieblichste Sommerwetter, der Sonnenschein lag auf der Stadt und dem ganzen Lande, und die Leute trieben sich lebhafter als sonst im Freien herum, teils im Verkehre für die zu treffenden Vorbereitungen, teils im Vorgenuß der kommenden Festtage, welche dies dem Genusse nachhangende Volk recht auszubeuten gedachte. Der Laden des Alten war angefüllt mit Leuten, welche Fahnen bestellten und holten, nähenden Mädchen, Tischlern, die Stangen brachten, und er selbst regierte, lärmte und hantierte dazwischen herum, nahm Geld ein und zählte Fahnen, und ab und zu ging er einmal in Heinrichs Verlies hinein, wo dieser mutterseelenallein in dem blassen Lichtstrahl der Mauerritze stand, seinen weißen Stab drehete und die sorgfältige reinliche Spirale zog.
Der Alte klopfte ihm dann sachte auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr »So recht, mein Söhnchen! dies ist die wahre Lebenslinie; wenn du die recht akkurat und rasch ziehen lernst, so hast du vieles gelernt!« Und wirklich fand Heinrich in dieser einfachen und verachteten Arbeit allmählich einen solchen Reiz, daß ihn, die langen Sommertage, in diesem Loch zugebracht, gleich Stunden vorübergingen. Er hatte sich bald eine große Geschicklichkeit erworben, welche trotz ihrer Geringfügigkeit recht bedeutsam war; denn nicht nur galt es, die ewige Linie ohne Anstoß und Aufenthalt, ohne Abschweifung und
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